Donnerstag, 30. Januar 2014

Herzerwärmendes Maschinenquest

Was?

Machinarium ist ein außergewöhnlich phantasie- und liebevolles Point-and Click- Adventure aus dem Hause Amanita-Design. Und obwohl es aus dem Jahre 2009 stammt, ist es keineswegs altbacken, sondern beweist, dass man auch heute noch zeitlose Spieleklassiker entwerfen kann. Ein Vorteil: Das Spiel läuft auch auf älteren Rechnern.

Worum geht es? 

Als kleiner Roboter wird man am Anfang des Spiels auf einer Müllhalde außerhalb der Roboterstadt rausgeworfen. Man bastelt sich erstmal wieder zusammen und muss sich anschließend den Weg zurück intra muros freirätseln. (Das ist auch der Demo-Inhalt)

Im weiteren Verlauf des Spiels entblättert sich Stück für Stück die Handlung des Adventures: Man lernt weitere Figuren kennen, die alle ihre besondere Rolle im Skript spielen (Bösewichte, Bewohner, Angestellte). Gleichzeitig löst man Klick um Klick den Knoten, der aus "Bösewichten-das-fiese-Handwerk-legen", "Alte-Liebe-Finden-und-Retten" und "Wieder-Ordnung-In-der-Roboterstadt-Herstellen" zusammengelegt ist. 
Beispiel für eines der Kniffelrätsel
Dabei wird man als Spieler mit vielen Kniffeleien konfrontiert, die alle auf hohem Niveau, aber nie unschaffbar schwer sind. Manche sind klassische Point-and-Click Rätsel (Gegenstand A and Platz B finden, mit Gegenstand C von Ort D kombinieren und bei Person E an Platz F anwenden). Andere dagegen sind eher Mathe- und Geometrie-Rätsel, die die grauen Zellen mit Kombinations- und Vorstellungsvermögen malträtieren (Wie bekomme ich die Kugeln jetzt von rechts unten nach links oben, ohne dabei den andern Kugeln in den Weg zu kommen?).  Man muss sich ein wenig hineinfinden und die Lösungen für die Rätsel, oder das, was von einem gefordert wird, erstmal verstehen. Gott sei Dank! So hat man immer wieder kleine Erfolgserlebnisse, die man sich durch eigenständiges Nachdenken verdienen kann. Meistens sind die Lösungshinweise für die Rätsel als kleine Kritzeleien auch irgendwo in Nähe des Rätsels oder auf dem Rätsel selbst versteckt. Gefordert wird übrigens (un)logisches  Denken, räumliche Vorstellungskraft, Einfühlvermögen und, ja auch das, Geduld.

Das Außergewöhnliche - das Charakteristische an dem Spiel


Das Außergewöhnliche an dem Spiel ist die Atmosphäre. 
Die Farben sind so gemischt, dass ein rostig-nostalgisches, düster-dunkles Ambiente entsteht, in dem die Handlung des kleinen Roboters wie kleine Blumen sind, die in diesem düster-Ambiente als Akte der Liebe und Hoffnung aufploppen. Sie bewegt sich zwischen Kupfer,Bronze, Rostrot, Grau und Gelb und Braun. Gerade der Kontrast der unbelebten, maschinellen, unterdrückten und von den Bösewichten gepiesackten Hintergrundwelt mit den "menschlichen" Motiven und Handlungen des kleinen Roboters - helfen, befreien, erlösen, unterstützen, machen das Spiel für mich vielleicht so warm. Untermalt wird das Spiel von einem erstklassigen Soundtrack, der eignes von und um Tomas Dvorak kombiniert wurde. Gerade in langen Rätseleien hilft er nicht frustriert aufzugeben, sondern bei der Stange zu bleiben. Auch er folgt dem Prinzip Machinell-Kaltes mit Menschlich-Warmen zu kombinieren. So werden Synthiesounds und elektronische Klangfassaden von "warmen" Instrumenten wie Streichern, Glockenspielen, Gitarren und Ähnlichem in Zaum gehalten. Passend zur Situation ist der Soundtrack mal Humoristisch und Ulkig (Bösewichte im Wasserpool), manchmal verträumt und verzaubernd dahinplätschernd und dann anschwellend ("Schmetterlingszimmer"), mal knallharter Diskosound (Rohrzangen-Roboter), und manchmal auch nur dezente Untermalung im Hintergrund. 
Pflanzenexperimente im "Schmetterlingsraum". 
Zu der Farbgebung, den Hintergründen, der Musik und der bezaubernden Stadtatmosphäre kommt die Figurengestaltung dazu. Auch diese ist liebevoll und gelungen. Nicht nur ist sie facettenreich - von der ersten Roboterratte über den hochnäsigen Polizisten, den alten Robotern im Rollstuhl und der kirchengläubigen Dame hin zum König, dem Staubsaugerroboter und der kleinen Spielfreundin, bis hin zu den drei ultragemeinen, fiesen Bösewichten. Sie ist auch herzlich. Man mag die Figuren, sie alle sind einzigartig,  haben etwas Herzliches, Liebenswertes an sich. Und in ihnen spiegeln sich Alltagsepisoden des täglichen Lebens wieder. 
Das Adventure steckt schließlich noch voller liebevoller Details. Mich hatte das Spiel nach 20 Sekunden: bereits der Screen, der sich vor dem Spiel als Enterscreen darstellt: Ein Machinarium Kreidekritzel-Schriftzug - ist ein interaktives Minikunstwerk, dass so manche hochkomplex ausgefuchste Dokumenta Kunstinstallation in den Schatten stellt: jeder Buchstabe besteht aus einer eigenen Minianimation und einem zugehörigen Kritzelgeräusch, das aktiviert wird, wenn man den Buchstaben mit der Maus berührt. Huscht man mit der Maus über die Buchstaben, entsteht ein kindliches Kritzelgewitter, das einen immer wieder mit Freude erfüllen kann. Ähnlich ist es mit den Sturzanimationen des Roboters, oder mit den Warteanimationen. Selbst für die integrierte Komplettlösung muss man ein Minispiel bestehen. Immer steckt Liebe zum Detail drin und das zahlt sich aus.  


Fazit

Zusammengefasst bleibt zu sagen: Es macht Spaß den Sprung in das Maschinen-Aquarium (Machinarium), das die Entwickler gebaut haben, zu wagen. Zu zweit machen die Rätseleien noch mehr Spaß (Danke Bo und Kati!) und man wünscht sich am Ende des Spiels, es wäre weitergegangen. Vielen Dank für das Spiel! 



Freitag, 17. Januar 2014

Wolf of Wallstreet

Leonardo Di Caprio als Schauspieler, Scorsese als Regisseur. Was soll da noch falsch laufen?


Inhalt: Ein junger, ehrgeiziger und aufsteigender Broker (Aktienhändler), Jordan Belfort, arbeitet sich von unten nach oben: Er beginnt mit dubiosen Pennysheets/Pinksheets Verkäufen und arbeitet sich bis an den Kopf einer Newcomer Aktienhandelgesellschaft hoch: Stratton Oakmont...Alles in der Zeit vor Computern. Begleitet ist diese Zeit von jeder Menge Drogen - Downern und Putschern im Wechsel -  und den daraus resultierenden Absturzgeschichten. Und wie in jedem Film über Macht und Drogen darf auch Sex nicht fehlen - und auf der andern Seite Liebe und Verletzlichkeit.
Letztendlich ist der Film sehr kontrovers: er wirft ein Licht auf eine Welt, in der Menschen und Einzelschicksale sehr wenig zählen, Selbstverwirklichung und Eigenliebe dafür alles. Die Figur des Jordan Belfort geht diesen Weg bis zum bittersüßen Ende. Der Film: ein Untergangsszenario,  komischerweise sehr unterhaltsam.

Eine andere Meinung dazu:

"Ihr (= Scorsese u. Dicaprio) seid gefährlich. Euer Film ist ein rücksichtsloser Versuch, so zu tun, als seien diese Delikte unterhaltsam, ausgerechnet in einem Land, das nach einer weiteren Runde von Wall-Street-Skandalen noch immer umhertaumelt. Habt ihr an die kulturelle Botschaft gedacht, als ihr euch entschlossen hattet, den Film zu drehen? Ihr habt euch erfolgreich mit einem meisterlichen Verbrecher verbündet, einem Kerl, der immer noch nicht seine Opfer voll entschädigt hat, und ihr verschlimmert so nur noch unsere nationale Besessenheit mit Reichtum und Status - und verherrlicht Gier und psychopathisches Verhalten." 

Tolkien - Der kleine Hobbit (Buch)

Inhalt:


In dem Fantasy- Kinderbuch "Der Hobbit" geht es um den abenteuerlichen Weg einer unfreiwilligen Heldengeburt des Hobbits Bilbo Beutlin, der sich mehr oder weniger freiwillig einer Horde Zwerge anschließt, um deren Schatz unter dem "Einsamen Berg" vom Drachen Smaug zurückzuerobern.


Beobachtungen eines Literaturwissenschaftlers zur Gattung und Genealogie

Erst 1973 ist Tolkien gestorben, davor war er Professor für Philologie. Der Hobbit (1930-1936) gilt als sein Erstling. Aber in der Tat, man merkt dem Findling seine Eltern an: Es ist, als könne man das Geflüster  der Weltliteratur mal mehr mal weniger deutlich durch die Oberfläche der fantastischen Erzählung hören und wahrnehmen, wie sie ihren Einfluss auf die Erzählung nahm.
So ist das Buch ganz im Geiste der Romantik und als universalpoetisches Kunstwerk zu verstehen. Weniger mit Bezug darauf, dass tiefanalystische Philosophietheorien darin auftauchen (zwar ist das Buch durchaus durchzogen von lehrreichen Sentenzen, doch diese sind mehr im Volksmund verfasst). Vielmehr bringt das Werk die Urgattungen der Literatur in einem gelungenen Mix zusammen. Erzählpassagen, Gedichte und Gesänge sowie sehr dialogreiche, beinahe dramatische Passagen wechseln einander in den Abenteuern, die der kleine Hobbit durchleben muss, ab. Erzählt wird aus auktorial - persönlicher Perspektive, wodurch das Buch immer wieder in den Duktus eines ironischen Schelmenromans verfällt.
Dabei verweilt das Buch nicht nur in romantischen Landschafts- und Elfenträumerein des 19. Jahrhunderts. Tolkien gräbt tiefer und führt auch archaische Urstrukturen der Erzählung ein, die das erste Mal durch Plutarch aufgezeichnet worden sind: Die phantastische Figur des Beorn, ein Gestaltenwandler, halb Ökobauer halb Bär, lässt seine Stimme über das Schlachtfeld donnern und es scheint, als würde eine andere, weitaus größere und göttliche Figur mitbrüllen - Hier findet sich ein Motiv des Übernatürlichen, das auch schon in Plutarchs Timoleon oder Themistokles Schilderung aufgetaucht war. Auch die Größe der Heere und deren Bewaffnung - all das erinnert an die Antike und andere archaische Zeiten, als noch Fußheere mit Schlag- und Spießwaffen aufeinanderprallten. Ja überhaupt, das Wandermotiv und zu Fuß zu reisen, spielen eine große Rolle in dem Buch.

Persönliche Highlights

Warum sollte man den Hobbit lesen? Der Hobbit ist eines der stimmungsvollsten Bücher, die ich je gelesen habe, wenn nicht sogar das stimmungsvollste. Es entführt einen als Leser in eine vollkommen andere triviale, doch dennoch alles andere als einfache  Welt voller abenteuerlicher Geister, Geschöpfe und Gefahren. Bei aller Spannung verbreitet er gleichzeitig immer das Gefühl von Behaglichkeit - als würde man als britischen Lordschaft in einem Ohrensessel sitzen, vor einem knisternden Kamin, Tee trinken und Pfeife rauchen mit "dem guten Buch" in der Hand...
Kaum ein anderes Buch nimmt einen so aus dem Alltag weg und verbreitet einen Zauber, wie dieses Buch...Ein Arbeitskollege teilte mit mir die Erkenntnis, dass es kaum einen besseren Anfang für ein Buch gibt, als die Beschreibung der Hobbithöhle (egal, ob auf Englisch oder Deutsch). Und ich stimme dem voll zu. Zugegeben, das Buch braucht ein wenig, um Fahrt aufzunehmen...aber wenn die Reise einmal begonnen hat, ist es nur phantastisch! 
Mein zweites Highlight ist das doppelbödige Gespräch zwischen Bilbo und Smaug. Doch auch das Treffen mit Gollum im Inneren der Bergstollen mit dem Rätselgespräch bleibt ein unvergessliches Erlebnis. Und die Flucht erst! Quoi de plus? Die Grausamkeit der Spinnen, das Berggewitter, die Dummheit der Menschen (bzw. Völker), wenn sie sich alle zur großen Schlacht vor den Toren des Schicksalsbergs einfinden nur um glücklicherweise durch einen noch größeren Feind, der an die Tore Mittelerdes anklopft, und die Verhandlungskünste des kleinen Bilbo Beutlins wieder vereinen.

 Fazit 

Man sollte den Film gar nicht erst zum Vergleich heranziehen. Auch er ist einer Kritik würdig, allerdings stammt er aus einer anderen Zeit und ist ein anderes Medium mit einem anderen - nicht zwangsläufig lesefreudigen - Publikum. Der kleine Hobbit ist ein Lesebuch. Vielleicht sogar "das" Lesebuch, das einen Höhepunkt und Schlussstrich bildungsbürgerlicher Unterhaltung im europäischen Raum darstellt. Ein Buch in alten Erzähltraditionen verhaftet, zum Versinken, Träumen und Entfliehen. 

P.S.: Zum Nachlesen - falles es noch nicht bekannt ist: Schlegels Definition zur progressiven Universalpoesie:
Das Athenäums-Fragment Nr. 116
Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen und durch die Schwingungen des Humors beseelen. Sie umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom größten wieder mehrere Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosem Gesang. […]
  

Sonntag, 5. Januar 2014

Ein Stück Gegenwart: Long Arm


Long Arm [Project Mooncircle]

Träumend

Träumerisch schön
wie[der] Traum eines Elfen in einem
geheimen Garten
in dem die Zweige der dunklen Baumallee
sich den Haaren der Elefenkönigin entgegenstrecken.
Long arm is reaching.

Ihr mondscheinfarbenes Kleid liegt elegant in blauen Falten,
gebogen und gewellt wie Vinyl,
eintauchbereit für die Nadeln
und bereit, verführerisches Rauschen
mit einem Schuss verregneter Dunkelromantik
aus vergangenen rauschenden dunkelromantischen Zeiten
emporsteigen zu lassen, wie aus dem Schlund des Schalltrichters eines New Orleanser Saxophons.

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Zu dem Instrumentaltrack "the branches" während dem Durchhören des ganzen brillianten Albums. Wirklich, man kann damit seinen eigenen Mindtrip im Fluss der Gedanken antreten. Oder mit andern Worten: Producerjazz hat nach Forss' Soulhack einen neuen Referenten: Long Arm aus Russland. Herrlich altmodisch, nostalgisch, urban und weit weg. Support!


http://projectmooncircle.bandcamp.com/album/the-branches