Sonntag, 27. Juli 2014

Auf Andersens Spuren - Cees Nooteboom: In den niederländischen Bergen


Cees Nooteboom: Der niederländische Erfolgsautor, Liebling von Rüdiger Safranski, Berücksichtitgter in der SZ "Meisterwerke-der-Weltliteratur"- Reihe, Held der Langsamkeit, Kosmogonie, Lakonie, des Abschweifens, der Erzählung und der Beschreibung und irgendwo zumindest eine Zeit lang mein Lieblingsautor.

In Schloss Blumenthal im dortigen Sharing-Schrank wartete ein weiteres Buch von ihm auf mich. "In den niederländischen Bergen". Ich dachte erst, es handle sich um eine seiner zahlreichen Reisebeschreibungen, da ich den Titel nicht kannte, sehr wohl aber wusste, dass Nooteboom auch als Reiseautor viele Texte veröffentlicht. Aber nein, bei dem Buch handelt es sich um einen märchenhaften Roman.

Eigentlich ist er mein Lieblingsautor. Kein anderer versteht es, wie er, die Dinge in ein magisches Licht zu rücken, dabei selbstironisch voranzuschreiten, autopoetische Kunstgriffe in sein Werk einzustreuen und nebenbei eine Partie Pingpong mit allen großen Namen der philosophischen Weltliteratur in seinem Werk mit einzuflechten.

Nach Allerseelen, dem großen Berlinroman, den meine Schwester in ihrer Abschlussarbeit im Deutsch LK beschreiben musste, dem Gedichtband So könnte es sein, den mein alter Freund Jens mir einmal in die Hand gedrückt hatte, Die folgende Geschichte, Rituale und einer Brüsselbeschreibung im Merian nun also neues Wasser auf den Mühlblättern der Cees Nooteboom Rezeption.

Worum geht es? 

Das Buch hat zwei ineinander verwobene Handlungsstränge. Zum einen geht es um die Trennung eines optisch perfekten Liebespaars (Lucia und Kai), das sein Überleben mit artistischer Kleinkunst bestreitet,  durch eine kriminelle Bande im Süden der Niederlande.
Zum andern geht es darum, dem fiktiven, spanischen Autor (Tiburon) über die Schulter zu schauen, während er den Roman in einer spanischen, leeren Grundschule verfasst.
Die Geschichte ist dabei leicht an Andersens "Schneekönigin" angelehnt. Die Geschichte, in der Kai einen Eissplitter im Auge hat und von der Schneekönigin entführt wird, bis ihn seine junge Freundin unter abenteuerlichen Bedingungen rettet.

Wie ist es erzählt?

Cees Nooteboom setzt mit Tiburon eine Zwischenfigur als Erzähler ein, zwischen sich und seine Narration. Ein Zwischenerzähler. Ihm kann er alle Gedanken in den Mund legen, die er vielleicht selbst hat. Und jener kommentiert fleissig, ist auktorial und zeigt auch deutlich, dass die Geschichte aus seiner Feder stammt. Dabei oszilliert die Figur des Tiburon zwischen rhetorischer Finesse und Selbstmitleid, interessanten Zwischenrufen und selbstgefälligem Wissensauspacken. Erwähnenswert ist auch die immer wieder stattfindende Sprachreflektion in dem Buch.
Durch seine permanenten Unterbrechungen des Erzählflusses wird der Roman mit der Zeit zum Erzählexperiment. Die erzählte Zeit umfasst in etwa die zweier Monate, das Buch selbst ist in verschieden lange, durchnummerierte Kapitel unterteilt.

Wie war das Leseerlebnis? 

Vielschichtig. Anfangs ließ ich mich nach einer schwerfälligen Einleitung, die den Norden und den Süden der Niederlande beschreibt, begeistern vom halboffenen Stil des Romans, in dem Erzählung, Kommentar und philosophische Reflexion mühelos ineinander übergehen. Bis in etwa zur Hälfte des Romans - als Leser tappt man noch im Dunklen und fragt sich: "Ist das nun tatsächlich eine Andersen- Adaption?" - hält Nooteboom das auch gekonnt durch. Doch nachdem Lucia sich Anna, der Clownfrau angeschlossen, und Kai im finstren Schloss der "Eiskönigin" gelandet ist, beginnt meiner Meinung nach die Erzählung zu zerfallen. Zu groß werden dann die Ergüsse des Autors aka Tiburon über Gott und Religion, was ein Märchen ist und was ein Mythos, so dass er vor lauter Wissensauspacken das Erzählen ganz vergisst. Beinahe lapidar wird dann das Ende der Geschichte hingeworfen.
Was also außergewöhnlich gut begann, wird am Ende leider eher wirr und zerfasert.

Fazit

Eigen, aber durchaus lesenswert, gerade die ersten Hälfte. Dann leider abnehmend im Detail und selbstverlierend.

Leseprobe:




"Zudem war nun eine Zeit angebrochen, in der Dinge, die sich durch den Körper ausdrüclen lassen, ohne die Einschaltung der Elektronik und im peinlichen Beisein anderer Köroer gewissermaßen ungültig wurden. Jede Gebärde sollte in möglichst vielen Wohnzimern der Welt gleichzeitig gesehen werden, von Menschen , die in diesem Moment
nicht dabei waren; und auf den natürlichen Klang der menschlichen Stimme reagierte man gereizt, als fehlte diesem Geräusch oder dem eigenen Gehör plötzlich, zum ersten Mal seit der Schöpfung, etwas Wesentliches, ein Mangel, der in den Jahrhunderten zuvor niemandem aufgefallen war.

Genausowenig wie man zu Hause noch Spiele machte oder, um es deutlicher auszudrücken, miteinander spielte, genausowenig ging man aus dem Haus, um sich das Spiel anderer Leute anzuschauen. Immer mehr Zirkusse mußten schließen, und die Clowns, Illusionisten und Bärenbändiger verschwanden im großen Nichts, wohin ihnen Korbflechter, Straßenschreiber, Schauspieler, Scherenschleifer, Erzähler, Falkner, Schausteller schon vorausgegangen waren. Longinus hatte einmal anläßlich schwacher Stellen bei Herodotus und Theopompus (ein aufgeblasener Name, den ich selbst gerne hätte) davor gewarnt, daß das Sublime leicht durch das Triviale verdorben werden könne; aber wie kann man ein derartiges Stilproblem in einer Geschichte lösen, deren Thema die Korrumpierung des Sublimen durch das Triviale ist? Wir werden sehen, wie das geht. Schließlich kann man, so Horaz, das noch nicht Veröffentlichte wieder vernichten, doch wenn die Wörter erst einmal ausgeschwärmt sind, kann man sie nicht wieder einfangen. Das war damals so, und ist heute noch so. Es ist die Vorstellung von der Vollkommenheit, die mich beim Schreiben dieser Geschichte fortwährend behindert, weil ich vermute, daß heute niemand mehr daran glaubt, am wenigsten mein Verleger in Léon.

Mit Gottes Tod, egal ob er existiert hat oder nicht, ist das Vorbild des Vollkommenen verschwunden. Danach hat die Kunst den nach Seinem Bild und Gleichnis geschaffenen Körper verrenkt, in Flächen aufgeteilt, durchlöchert und verzerrt. Es scheint, als könnten wir Vollkommenheit nicht mehr ertragen, nicht einmal mehr als Idee, weil sie uns wie ein zu oft geträumter Traum langweilt.“


Cees Nooteboom bringt hier alle seine Vorhaben und Eigenheiten an einer Stelle gebündelt zu Papier. Er verrät sein Erzählkonzept und gibt es unverhüllt an den Leser weiter: die Korrumpierung des Vollkommenen und Sublimen (Lucia und Kai) durch das Triviale (Raub, Entführung und Verführung durch Sex mit der Alten oder dem "Screemeranführer"), seine Gelehrtsamkeit (Theopompus und Herodot sind antike Geschichtsschreiber, Horaz, ein antiker römischer Autor) und seine autopoetischen Ästhetikreflekitonen (nach Nietzsches Erklärung, dass Gott tot sei, was als Beginn der Moderne betrachtet wird, kamen in der Kunst Picasso und andere, die die Mimesis und Allegorie oder Glorifizierung zugusten von Zersplitterung (z.B. Kubismus) oder Entstellung, etc. aufgaben). Zudem die typische postmoderne, etwas altmodisch wirkende Gottestrauer in all seinen Werken.



Andere Meinungen:

- http://www.literaturschock.de/literaturforum/index.php?topic=11375.0
In den niederländischen Bergen: Amazon.de: Nooteboom ...
- http://www.kritikatur.de/Cees_Nooteboom/In_den_niederlaendischen_Bergen
- http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/sprinter-auf-der-langstrecke-1179849-p2.html



Samstag, 5. Juli 2014

WOW! Power-Poster des Konzerthauses Dortmund zur Spielzeit 2014/2015



Die Klassik - ein opulentes Monster, dem man sich stellen muss. So bewirbt das Konzerthaus Dortmund seine aktuelle Spielzeit.
Nichts Gefälliges, wie die Popmusik, die einem entgegenplätschert, sondern ein Monstrum, ein Ungetüm, das einen überrennen, plattwalzen kann wie ein Nashorn.