Dienstag, 11. November 2014

Marteria -

In der Zeit gibt es ein Interview mit Materia.
Ich denke, insbesondere die Diskussion unter dem eigentlichen Text bringt auch meine Haltung zu Materia und vielleicht auch zum Leben an sich auf den Punkt.
Gemosert wird, wie ein wohlstandsgebürtiger 32 Jähriger Rapper mit der naiven Haltung eines 17 Jährigen die Welt analysieren könne? Eben. Kann er nicht.
Aber er macht, dass man ein gutes Gefühl hat. Das ist vielleicht wie Skaten oder Fußball oder Reiten, oder was auch immer einen glücklich macht: Es erklärt die Welt nicht, aber es macht einen glücklich. Das spannende an Materia ist seine Authentizität. Er ist weder der beste Rapper (technisch), noch besonders innovativ, sondern einfach nur authentisch. Was ich ihm selbst nicht glauben wollte und was ich erst nicht verstand. (Was ist denn bitte mit der Realness?) (gut, wenn ich die Idealistenbrille wieder aufsetze, und Realness mit Conscious-Rap und Idealismus gleichsetze, ist Materia auch wieder schneller abserviert als ein Expresskaffeebecher in einer Autobahnraststätte...Da wären wir wieder beim Thema: "Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?" und beantworte die Frage gleich mit "Wer war ich? Und wenn ja wie viele? "- ,da das Individuum ja wächst und sich verändert). Und Marteria ist vielleicht auch das Sinnbild oder eine Leitfigur (von Ikone möchte man in der Postmoderne ja nicht mehr sprechen...irgendeine unfunktionalisierte Gegenwart muss es ja auch für uns Geschichtsüberbewusste geben) der Generation Wohlstandskinder, die tatsächlich nicht erwachsen werden wollen. Warum auch? Das System ist nunmal blöd. Die Probleme des Welthungers sind theoretisch und praktisch gelöst. Nur die Verteilung möchte nicht so hinhauen. Und um die wirklichen Probleme unserer Zeit macht man große Bögen - vielleicht nicht im Diskurs, aber im konkreten Handel. Oder warum gibt es noch Atomkraft, Kohlekraftwerke und noch keine gravierenden Steuervorteile für Fahrradfahrer und einen Markt, der sich aus deutscher Hinsicht immer noch sehr stark auf Waffenexporte stützen kann? Warum immer mehr burnout und Stress und Depression und Überdruck und Rollenverhalten, wo doch materiell in Deutschland wirklich nichts zu befürchten ist? Oh. Ich bin abgeschweift...Ich wollte ja über Marteria reden.
Über das Video bin ich weitergekommen zum Track "OMG". Ein Track, der Religion und Himmel thematisiert, erst kreisend und mit Kirchensymbolen aufwiegerlisch neckend spielen (Dorfkids mit Kreide bemalen Kirchenmauer vs. Pfarrer, Selbstkasteiung, Taufe, Stigmata, Blutthränenjungfrau) und dann doch auf ein Fazit hinauslaufend: aus einem "Amen" wird ein in deinen "ARMEN" - Gospel - und da fühlt und findet Materia in dem Lied seinen Himmel und sein Amen. Wo Bildungsbürger heute nur die Nase rümpfen dürften, sollte man ihnen den Goethe unter die Nase halten, den das "Ewig Weibliche" genauso hinabzieht und zwischen Himmel und Hölle stehen lässt, wie unsern Fußballjungen, der sich am Ende gorillagleich das Marienmädchen schnappt und auf sein Quad aufsteigen lässt.
Ist das jetzt plump?


Interview
Retrospektiver Traum