Montag, 27. Februar 2017

Einsame Menschen in der Petrischale - zu Gerhardt Hauptmanns Stück, gesehen im Theater Ensemble Würzburg

Gerhart Hauptmann kennt man als Autor des Naturalismus, der durch sein Stück "Die Weber" auf das Elend durch das Aufkommen der industrialisierten Massenware aufmerksam machte. Dabei hat er  noch ein anderes Stück mit dem Namen "Einsame Menschen" vefasst, das sich als wahre Perle herausstellt.

Inhalt:

Der intellektuelle gut situierte Johannes hat sich mit seiner Frau Käthe und neugeborenem Kind sowie der Mutter auf ein Landgut an einem Teich zurückgezogen, um dort in der harmonischen Ruhe der Natur sein Manuskript mit reformrevolutionären Gedanken zur Lage des Reichs voranzutreiben. Ab und zu besucht ihn ein befreundeter Maler. Die Stimmung ist bereits angespannt, als sich Anna Mahre durch einen Zufall auf dem Gut einfindet und Bekanntschaft mit Johannes macht. Die beiden verstehen sich auf Anhieb gut. Während Anna vorerst "nur" gut mit allen Bewohnern auszukommen scheint, stellt sie für Johannes den Inbegriff all dessen dar, was er vermisst hat: Interesse und Verständnis für seine Gedanken, Aufgeschlossenheit und Fortschritt für seine Generation und Leichtigkeit und Frohsinn für sein Gemüt.(ab jetzt Spoileralarm)

Wo das gewohnte Umfeld nur das Äußere oder das, was es sehen möchte, in Johannes wahrnimmt und projiziert, ist Anna ganz unbefangen und offen. Ein Verständniskonflikt und Eifersuchtsdrama entwickelt sich in dem die unglücklich Dreieckskonstellation Johannes - Käthe - quasi Teil eines Fünfeckigen Cyphers ist, in dem sich Religion und Wissenschaft als Gegenpole dazugesellen. In der Mitte des Cyphers prallen die Kostellationen dann in Mikroszenen aufeinander: Aufklärung, Emanzipation der Frau, christliche Fürsorge und Selbstaufgabe, Ablehnung und Akzeptanz, Ideal und Wirklichkeit und vieles mehr.
Das Stück endet in der totalen Isolation Johannes mit anschließendem Suizid nach der heftig umstrittenen Abreise Annas  und einem Nervenleiden von Käthe, seiner Frau.

Interpretation:

Der Konflikt ist schon vor Einsetzen der Handlung da. Er besteht zum einen im Charakter Johannes, der ein typisches Beispiel für einen gelehrten Intellektuellen in der Krise darstellt. Ein leidenschaftlicher, aufbrausender, sehnsüchtiger, durstiger, idealistischer, weitschweifender Gelehrter, der an seiner Zeit scheitert.  Er steht von Anfang an mit der Welt in Konflikt, da er "das Unmögliche zusammenbringen möchte" und den ewigen Konflikt von Ideal und Wirklichkeit auf den Schultern trägt. Dazu gibt es ein passendes Schiller-Zitat: 

"Ewig aus der Wahrheit Schranken rast des Mannes wilde Kraft, unstet treiben die Gedanken,
auf dem Meer der Leidenschaft, gierig greift er nach der Ferne, niemals wird sein Durst gestillt, rastlos durch entlegne Sterne, jagt er seines Traumes Bild."

Auf der anderen Seite scheint die Konstellation zwischen Käthe und Johannes zum Scheitern verurteilt. Die beiden passen nicht zusammen, da Käthe Johannes nicht genügt. Geht man davon aus, dass sich Ehepartner ergänzen und zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen sollen, so ist das hier einfach nicht der Fall. 

In diese ungesunde Anfangskonstellation kommt nun Anna herein. Sie bringt ein im Vorhinein gefährdetes System vollends aus dem Gleichgewicht. Der Schlüsselmoment des Stücks liegt in dem Moment, in dem sich Anna und Johannes hätten trennen können, als ewig im Geiste verbundene, die sich selbst dem Gesetz unterwerfen, sich nicht miteinander zu vereinen und in der paradoxen Freiheit, sich diesem Gesetz zu unterwerfen, Trost und Würde finden. Da Johannes die Stärke fehlt, sich dem Gesetz zu unterwerfen, scheitert der Versuch und das Stück endet in der Auslöschung der Figur des Johannes. 
Eine Alternative gibt es in der Situation nicht. Die Krise führt ins Dilemma, einer Situation, in der moralisch nicht einwandfrei gehandelt werden kann. Gegen die Auflösung der Ehe mit Käthe spricht nicht nur die Konvention. Auch der Umstand des erst neugeborenen Kindes verpflichtet, bindet und hält Johannes in der Familie. Auf der anderen Seite leidet Johannes in der gegebenen Situation und selbst wenn er Anna hätte ziehen lassen, es wäre ihm wie ein Opfer vorgekommen und er dürfte sich nicht erhoffen Dank für diese Entscheidung zu empfangen. - ein Dilemma! 

Das Stück ist natürlich irgendwo im Realismus anzusiedeln. Geschrieben 1890, Dialekteinflüsse, realistische Konflikte und Szenen, wissenschaftlicher Hintergrund und Nähe zur Milieustudie.


Die Inszenierung in der Theaterwerkstatt 

Die Inszenierung ist wuchtig, nackt, spannend wie ein Thriller. Man mag ja zurückschrecken vor so "harter Kost", aber sie lohnt sich. Kunst lohnt immer und hier geht es um große Kunst! Das Stück hat keine längen, keine Momente, in denen man sich für etwas Schämen würde, zwei oder drei Stellen, in denen man sich etwas über die Inszenierung wundern könnte aber im Gesamten ist sind Stück und Inszenierung herausragend! 
Die Schauspieler überzeugen durchwegs durch Können (Kati Reich - Präsenz, Energie, Wachheit und Leichtigkeit im Schauspiel, Thomas Schröter durch enorme physische Präsenz, stimmliche Präsenz und Nuanciertheit, Franziska Wirth durch Einzigartigkeit und sehr charaktervolles Ausfüllen der Figur - selbiges gilt für Dirk Kählert, Giesbert von Liebig durch sympathisches Schauspiel einer sympathischen Rolle und große Glaubwürdigkeit im großen Moment der Figur in der Verurteilung Johannes ebenso wie Norbert Berteau, der noch im Hintergrund unzählige Strippen für das Theater zieht, Annika Förster (Bühnendebut!!!) und Angela Fricke mit überragendem Dialekt. Das Stück an sich hat großartige Momente, in denen ein jeder sich zumindest zum Teil wiederfinden kann. Unterm Strich: Bravo! Und wer noch die Chance hat: Anschauen! 

Bilder und mehr: 

http://theater-ensemble.net/performance/einsame-menschen/