Sonntag, 17. März 2019

„Ein Sommer am See" (2014) Mariko Tamaki und Jillian Tamaki

Die erste Graphik Novell mit dem deutschen Jugendbuch-Literaturpreis!
Ich verstehe den Jugendbuch-Literaturpreis als Empfehlung, seit Lian Hearns „Das Schwert in der Stille", das ich las, ohne zu wissen, dass es für diesen Preis prämiert war, und von dem ich so begeistert war und bin wie von kaum einem anderen Buch, traue ich dem Geschmack der Jury hinsichtlich der Beurteilung stilistisch ansprechender und inhaltlich berührender Werke.


Der Inhalt (ohne das Ende zu verraten)

In „Ein Sommer am See" geht es um eine Familie, die ihren jährlichen Sommerurlaub an einem großen Badesee im fiktiven Urlaubsort Awago Beach verbringt. Seit Rose fünf Jahre alt war, fahren sie, ihr Vater und ihre Mutter jährlich dorthin und treffen auf altbekannte Gesichter:
Rose hat eine beste Ferienfreundin mit dem Namen Windy. Sie lebt mit ihrer lesbischen Mutter zusammen, deren Mutter ebenfalls zu Besuch kommt. Eingekauft wird im Dorfladen, der auch einen DVD-Verleih betreibt und Anlauf- und Treffpunkt für die Dorfjugend ist.
Die Graphik Novell beginnt also mit der Anreise der Familie in dieses Urlaubsparadies. Sie beziehen ein Ferienhaus und alles scheint bereit für eine Zeit voller Erholung, Familienharmonie, Sonne, Baden und eleganter Langeweile. Oder?

Schnell entpuppt sich, dass die Idylle ihre Risse hat. So entfalten sich verschiedene Konfliktfelder im Feriendorf und vielmehr werden verschiedene Konflikte durch den Ort Awago Beach, der sie alle für die Dauer eines Sommerurlaubs zusammenbringt, durch die Augen der Hauptfigur Rose offensichtlich.
Irgendetwas ist mit Roses Mutter, was auch die Beziehung zu ihrem immer gut gelaunten Vater belastet. Rose verliebt sich in den Jungen, der im Dorfladen arbeitet. Der wiederum hat Gerüchten zufolge eine Jenny aus dem Dorf geschwängert, was aber nur ein Gerücht ist, und beide haben Probleme, damit umzugehen.
Ihre etwas jüngere Ferien-Freundin Wendy wächst alleine mit ihrer Mutter und der Oma auf. Hier scheint die Welt noch heil zu sein. Ihre Mutter ist lesbisch.

Die Wirkung / das Besondere an „Ein Sommer im See": 

Dem Duo gelingt es unglaublich gut, Stimmungen einzufangen! Das Buch ist meistens in 4-6 Pannels pro Seite aufgeteilt, in denen munter und scheinbar zusammenhanglos geplaudert wird. Aber immer wieder, gerade dann, wenn man nicht damit rechnet, wird man überwältigt von einer Doppelseite, in der die gesamte Handlung stoppt und ein Moment eingefroren wird, was enorme Wirkung entfaltet!
Sei es Rose, die in ihrem Bett abgammelt oder Wendy am Tanzen um Rose, sei es
Unterwasserspaß...diese drei Doppelseiten haben mich gecatched und ich werde an sie denken, wenn ich an „Ein Sommer im See" denke und ich werde sie nicht vergessen.
Auf der anderen Seite ist das Buch - zumindest für meine Verhältnisse - sehr offen. Jugendsprache, lesbische Beziehungen, ungewollte Schwangerschaft - alles Themen, die noch vor nicht allzulanger Zeit tabu waren. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, was natürlich auch nicht auffallen muss: Die Macher der Graphik Novell scheinen auch lesbisch zu sein. Ein zweiter Blick offenbart: Nein, es sind Cousinen :P

offener Aufbau:

Dennoch muss man damit zurechtkommen, dass das Buch nur Einblicke in Konflikte anbietet, aber keine Lösungen, zumindest keine vollständigen. Das Buch endet wie es beginnt, aber die Konflikte schwelen weiter. Es müsste nachbesprochen oder besprochen werden: Wie geht man mit einer unklaren Verhütungssituation um? Wie geht man mit Problemen in der Familie um? Hier ist viel Diskussions- und Redestoff!

Hier ein Artikel im Tagesspiegel
und hier ein anderer Artikel, der sich mit dem Gefühl "Preteen" zu sein auseinandersetzt