Samstag, 13. April 2019

Ein "cooler" Kommentar zur Popkultur? Bilderbuch in Würzburg

Glück muss man haben: Nach sieben Monaten der erste Live-Auftritt der Österreicher, 2 Weltpremieren, Tour-Eröffnung, ein unveröffentlichter Track. Bilderbuch, die hippe, österreich-sympathische Band, trendy, candy, Neo-Falcos, Dekadenzrocker! Erfüllen sie die Erwartungen?

Zweifel kommen in mir hoch nach ein paar Songs. Die Burschen betreten die Bühne in ausgewähltem Outfit - eben keine Underground Band, sondern schon Profis, Randplayer aber im Big Game, mit Visagistin, Kostümistin, zumindest wirkt es so. Der Eindruck wird verstärkt von roten Papierherzen, die über der Crowd aus den Aufhängungen der Halle abgeworfen werden. Eben alles "candy", "alles Liebe!". 
Der Frontman, Maurice Ernst, bewegt sich geschmeidig und sicher am Microfon. Immer wieder catched er mit abgehackten Bewegungen die Aufmerksamkeit der Zuschauer und flowed durch die Songs und ich frage mich: wieviel ist Choreographie, wieviel Gefühl, wie viel ist "einstudiert", wie viel ist "real"? 

Dann wechsle ich die Perspektive, gehe nach hinten und sehe das gesamte Bühnenbild: Ein Riesenwasserhahn mit Sturz-LEDs, eine Flugzeugtreppe, ein alter amerikanischer Kühlschrank, eine Ventilatorenwand, Planeten. Irgendwie alles und nichts aber von jedem ein bisschen. Alles hip, urban,  in unserer Travel- und Reisezeit verhaftet. 


Kunst - gefällig jedenfalls! Die einen mögen
die Ironie, die andern die Kunst. Aber engagiert? 
In dem Moment spielt die Band den "Frisbee"-Song über urbane Lockerheit, über Unberührtsein gegenüber den Kümmernissen der Welt und mein Ersteindruck verfestigt sich: Bilderbuch, wer ist das? Eine Gruppe musikalischer Eklektiker, sympathisch, Underdog in einem großen Business und was sie verdammt gut können, das ist das unsere Kultur zu kommentieren. Und zwar richtig cool - im Stil unserer "smile or die" - Mentalität immer fluffig, luftig, easy, fly mit einem Touch Ironie und Smartness. Sie stehen halt drüber und kommentieren es nur. 
Und da entsteht die Speerspitze meiner Kritik in voller Wucht: Ich sehe die tanzenden Massen und denke mir: „we dance on the wrong songs. we joy all the wrong words", Jungs, ihr kommentiert das Weltgeschehen echt gut, aber ihr ändert nichts daran. Eure Kritik, falls es eine gibt, bleibt in der ironischen Reproduktion stecken. Ihr reproduziert die Codes einer kranken Gesellschaft, aber ihr ändert sie nicht. Ihr macht das gut, aber schämt ihr euch nicht? 

Mit diesen brühwarmen Gedanken treffe ich auf eine Bekannte und die Arme hat das Glück, dass ich ihr das gleich mitteilen muss. Ich bin inzwischen schon so weit, dass ich die Wirkung und Choreo von Maurice Ernst mit Helene Fischer vergleiche. Sie bremst mich aus. Mit diesem Kritik ginge ich zu weit. „Aber sie sind doch unpolitisch!", entgegne ich. Maurice sei ein Entertainer, das könne ich ihm nicht übel nehmen, der sei halt so. Wie Prince. Und dass sie unpolitisch seien stimme nicht. Sie hätten eine Europa-Pass Kampagne initiiert. Außerdem seien Plätze auf der Gästeliste nur gegen eine Spende an eine NGO zu erhalten gewesen. 

Okay. Das ändert meine Gedanken ein wenig, mildert meinen Tugendjähzorn. Ich gehe wieder zu meinen Freunden links neben der Bühne. Der Alkohol macht mich auch bierselig und so wippe, groove und tanze ich schließlich mit. Dann kommen die Hits, wegen denen ich Bilderbuch mag: Machine. Bungalow. Und ich merke auch, dass die Jungs gute Musiker sind, die ihre Instrumente beherrschen. Quasi der Rockwolf im Popschafspelz. Yeah! Nach einer fulminanten Show kommt am Ende auch donnernder Applaus! Die Zugabe befriedigt mich dann vollkommen: Ein gefühlt 8minütiger instrumentaler Doom-Drone Song? Maurice Ernst meint danach, es sei ein unveröffentlichter Song. Aha, sie können also, vielleicht wollen sie auch nur dürfen nicht (mehr)? Hell Yeah! Rock'n'Roll jedenfalls! Wir feiern den Song - gefühlt zu dritt und als einzige in der Halle. (Bestimmt war es so ;) )  Irgendwie endet das Konzert dann auch...aber ich war dann auch nicht mehr ganz geistig anwesend. Na ja. Das Ende vom Lied: Es war dann doch ein sehr schönes Konzert, ein Popereignis mit einem bestimmten Anstrich - das, was Bilderbuch eben ausmacht. Und ich bin froh, dass ich da war! Ich rechnete mit einem oberflächlichen Konzert, bei dem alles "candy" sein wird, österreichischer Zuckerguss und ganz viel <3 auch.="" bekam="" dann="" das="" der="" ja="" liieeeeebe="" p="" und="" zuschauer="">


Jetzt im Nachhinein denke ich mir nur eines - und das würde ich gerne zur Diskussion stellen: Hätte Bilderbuch nicht einmal kurz eine Ansage machen können? Eine politische? Ja, ich höre die Kritik: die Leute, die da waren, waren doch eh alles keine AfD -Wähler...aber Klimasünder sind wir doch alle! Mal wieder nen Tag in der Woche mit dem Fahrrad in die Arbeit, Schule, Uni, was auch immer fahren? Könnten sie nicht vielleicht als Nächstes so eine Bewegung starten?