Montag, 8. März 2021

Playtime - Jacques Tati: Der alte Klassiker - zu viel für uns Junge?

 


Sehgewohnheiten ändern sich, Hörgewohnheiten auch. Die Oper ist eine Kunstform, die das eindrücklich erleben lässt, Chaque Tatis "Playtime" war am Sonntag Abend ein anderer solcher Moment.

Die Story ist schnell erzählt: Mr. Hulot verliert sich in einem Glass-Hochhaus in einem Vorort von Paris. Was er dort will - man erfährt es gar nicht genau, denn er erreicht sein Ziel so wenig, wie Kafkas Landvermesser "K."  sein "Schloss". Er überreicht eine gestressten Angestellten sein Papier und stolpert dann von einem Szenario und einer Situation in die nächste. Dabei versucht der Regisseur dem Zuschauer die unfreiwillige Komik der modernen, amerikainspirierten Konsumwelt des - wie es hieß - "Spacetech-Zeitalters"  in lauter kleine Microszenen vor Augen zu führen. Sei es der Besen mit Lichtern, Schaumstoffkissen mit Gummiüberzug, Computersprechanlagen, Büro- und Verwaltungskomplexe...

Der Tag vergeht so, bis es Abend wird und die zweite Szenerie viel Raum für Tatis Moquerie zur Verfügung stellt und einnimmt: die berühmte "Restaurantszene". Die Farbe ist noch nicht getrocknet, die Elektronik funktioniert nicht, alles wird im Geiste der neuen Hektik schnell schnell noch fertig gemacht, so dass am Ende ein rechter Pfusch entsteht, aber: Das Restaurant MUSS offen sein. Denn es ist "Opening Night".

Und so ist es, die herausgeputzten Gäste kommen, während hier und da noch Handwerker rumwuseln, Werkzeuge rumliegen, der Architekt vermisst und alle merken, dass die moderne, perfekte Fassade noch Baumacken hat oder an sich unpraktisch und unmenschlich gedacht ist. All das passiert unter der Aufsicht der hilflosen, strengen und stressbereitenden Chefkellner. Die Szene eskaliert zunehmend . mehr Leute, mehr Gewusel, mehr Pfusch, mehr Aufsicht. Richtig wild wird es, als die Band beginnt amerikanisch verrückten Jazz zu spielen. In diese Szenerie gerät Hulot, weil der Portier sich mal ein kurzes Päuschen auf dem Trotoir gönnte und Hulot als alten Kriegskameraden wiedererkennt und lautstart einlädt. "On va rigoler!" Wirklich witzig wir das dann, als im Zuge dessen die Glastüre kaputt geht, und der nur durch den Türknauf weiter seine Türe simuliert! 

Als dritter Teil - Hulot und die andere Sympathieträgerin, eine (amerikanische?) Touristin nehmen Abschied von diesem Vorort und Tati stellt alles ein bisschen wie einen Jahrmarkt da. Im Zentrum steht dabei der Kreisverkehr und alles ist wie ein Karussell. 

Typisch für Tati ist all das: kleine Mikrokomik im großen Makrokosmos, Spott über Stress, Hektik, das "Moderne" und die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, Kameradschaft und Einfachheit. Auch Teil seiner Handschrift ist die Kritik an der Damenwelt und ihren Modevorlieben, ihrem Neid und ihrer Neugier. 

Dabei ist Tati, nun in der Nachschau - ich spitze wieder rein in den Film - genial, die Ideen sind voller Liebe oder bissigem Humor, voller  Rhytmus, an Dummheit und Hass grenzende Albernheit und Perfektion, vieles ist einzigartig. z.B. die Nonnen und ihre Kopfbedeckungen oder die Ansagerin am Anfang des Films, die ihre Ansagen ins Mikrofon haucht. 

Manchmal ist es aber auch nur "nett" und einen zweistündigen Film ohne Handlung und richtige Dialoge, quasi eine Art Stummfilm, anzuschauen, mit einer Handschrift, die sich wiederholt, das strengt an und überfordert uns TikToker und Instagramer. 

Was mir als sehr akustischem Menschen auch nicht so gefällt, weil es mich anstrengt: Das poliglotte Stimmgewirr (zumindest in der Deutschen Version, in der Deutsch, Französisch und Englisch vermischt werden..."What? Yes, a table, für 3, par trois, three" - kein Mensch spricht so.... und manchmal die bewusst inszenierten Geräuschkulissen mit Stimmgewirr, Verkehrslärm, Maschinerie - eben das Chaos der Großsstadt, dem man eh zu entfliehen versucht. Das braucht man einem Middreißiger 2021 nicht neu zu erzählen ;) 


Fazit: 

Dennoch bleibt Neugierde für andere Filme des Franzosen. Denn es ist genial und einzigartig. Die Dosis macht das Gift und so lohnt es sich hier vielleicht, gerade "Playtime" in 3 Portionen zu unterteilen und nicht am Stück anzuschauen. (Opening und Hochhaus 1, Restaurant, Karrussel).
Man kann und muss sie auch eher studieren und analysieren. Einfach nur anschauen - dafür ist Playtime zu opulent, man wird erschlagen. Der Genuss liegt dann vielleicht im Anspruch und es ist nunmal ein bisschen, wie ins Museum gehen: Langsamkeit, Studium, Offenheit für Altes gehören dazu, um ein Staunen zu erzeugen. 

How bizare, how bizare: The Square

The Square hält der Welt der modernen Kunst in einer Art Mischung aus Wes Anderson gepaart mit Chaques Tati  (Absurdität) und einer Brise Jim Jarmusch (elegante Handlungsarmut und Kunstsinn) den Spiegel vor und entwickelt im Abgang ein hervorragendes Schmunzelvergnügen mit unerwarteter Feinfühligkeit und Bildern, an die man sich erinnert. 



Story (angespoilert und interpretiert) 

Die Geschichte ist schnell erzählt (Spoiler): Der Museumskurator Christian stümpert vollkommen unfähig und narrenhaft durch sein nicht vorhandenes Privatleben, dass voll und ganz durch sein Kunstleben bestimmt ist. Im Rahmen einer Ausstellung zu einem Kunstwerk mit dem Namen "The Square" kommt eine lose Aneinanderreihung von Szenen, die alle direkt darum oder in deren Dunstkreis passieren. So ist ein Handlungsstrang die Vermarktung des Museums und der Ausstellung durch ein gerissenes, junges PR-Duo, das ein an Geschmacklosigkeit kaum zu überbietendes Skandal-Werbevideo produziert, das veröffentlicht wird, ohne das Christian es als leitender Kurator einmal gesehen hat.


Denn der stümpert rum mit einer britischen Journalistin, die einen Affen im Apartment wohnen hat (warum?!), mit seinen beiden Töchtern (über die Mutter erfährt man nichts) und mit einem bizarren Diebstahl, bei dem ihm Handy und Geldbeutel abgenommen werden und denen er mithilfe seiner anderen Stümperfreunde hinterherstümpert. Am Ende geht natürlich alles in die Hose, aber im Wort Krise steckt bekannterweise - zumindest im Chinesischen - auch die Chance und so stoßen die Ereignisse und Verstrickungen in Christian eine Entwicklung an. Vom Saulus zum Paulus, einer, der auszog, das Lieben zu lernen...

 

Besonderheiten 

Der Film lässt viele Dinge im Vagen und Offenen (Wo ist die Mutter? Warum der Schimpanse? Was ist mit dem kleinen Junge am Ende passiert?) und bei aller Plumpheit, die ein erstes Seherlebnis mit sich bringt - gerade die "berühmte" Szene mit dem Performance Act des Gorilla-Künstlers, der out of control gerät, - so hat der Film doch auch einen fein gestrickten, doppelten Boden, eine zarte Symmetrie, die einem nicht entgehen sollte:
Christian sucht am Ende das, was "The Square" auch geben möchte: Das Himmelreich auf Erden - wo nach Sartre "die Hölle" auf Erden ja "die anderen sind". Der Inhalt und die Anklage des PR-Videos, dass erst ein armes Kind zu Schaden kommen muss, um die Menschlichkeit der versnobten Kunstwelt zu wecken, entspricht Christians Erlebnis mit dem "Ich mache Chaos mit Dir"- Jungen aus den Hochhausghetto. Erst der Unfall im Treppenhaus weckt Christians eigene Menschlichkeit auf, was eindrücklich in dem mehr einem wütenden Gorilla ähnelnden im Müll nach der Telefonnummer im Regen wühlenden Christian auf die Leinwand gebracht wird. 

Faszinierend und bleibend auch die Figur Christians.

Allein seine verschrobene Diktion. Christian steht als Sinnbild für die Kunst in der Realität: Ein Fremdkörper, der sich über die Dinge wundert, aber auch außerhalb von diesen steht und sich auf arrogante Art und Weise von der profanen Wirklichkeit abgrenzt.