Theatergroup de Jongens –
the Trap; at.tention 2o13. Ich bin noch ganz verzaubert vom at.tention Festival auf dem Gelände der Fusion, dem Flughafen Lärz. Freier Himmel, freies Volk...
Keine Angst vor dem Aufstieg, denn der Fall ist lang.
Das Bild vom
gesellschaftlichen Aufstieg als Treppe ist altbacken und bekannt. Das
Bekannte neu in Szene zu setzen und so darzustellen, dass es erfreut
und belehrt oder lange vergessene Binsenweisheiten wieder in Erinnerung ruft, ist eine der
Hürden, die „gute“ Kunst zu nehmen hat. Exakt diese Hürde hat
die junge niederländische Theatergruppe um Jan Joost Alberts und
Mats Boswijk, Taco van Dijk und Maarten Smit mit Stil und Lässigkeit
genommen.
Was?
Zwei Schauspieler waren
zu sehen. Als zwei alte Greise kamen sie um die Ecke ihrer Bühne
getingelt und stellten sich dem Publikum als mimikstarke und
körperbegabte Imitationsschauspieler vor, die wie alte Männer
nuschelten und stänkerten.
Die Bühne selbst war
draußen platziert. Nach all dem Hin und Her mit dem zusammengebrochenen Kartensystem für die Zelte und Hangars sehr angenehm keine Platzangst haben zu müssen. Direkt an der alten Landebahn
unter schwarzblauem Sternenhimmel bestand sie aus ein paar
halbkreisförming arrangierten Sitzgruppen und zwei-drei Reihen
Gummimatten für Vornesitzer. Verhüllt war eine etwa drei Menschen
hohe Art Leinwand zu sehen und ein kleines Baugerüst mit Rollen
unten dran, das zu einer Treppe umgebaut worden war.
Im Laufe des
Stückes bauten die beiden Schauspieler die Treppe immer weiter aus.
Insgesamt drei Teile waren am Ende zusammengeführt: die untere
Basistreppe, ein höheres Podest und schließlich die hohe Endtreppe,
die bis in die Sterne zu ragen schien.
Die Schauspieler waren
unterschiedlich von ihrer Erscheinung her. Der eine hatte Schnauzbart
und gelockten Vokuhila, der andere war sah wie ein ernster polnischer
Handwerker, am ehesten m.E. Elektriker aus.
Inhalt:
Sie spielten ein parabelhaftes Slapstick-Lehrstück auf das Leben,
das sich aus mehreren Mikroszenen zusammensetzte.
Die erste Szene: Zwei
alte Männer kommen um die Ecke und beschließen ein Wettrennen zu
machen. Auf drei geht es los und sie beginnen kämpferisch und mit
einer Zeitlupenszene ihr Wettrennen nach vorne.
In der zweiten Szene
ändert sich einiges: Die Bühne transformiert sich, indem
der Elektrikerschauspieler die Basistreppe um das Eck schiebt. Der andere Schauspieler schnallt sich in der Zwischenzeit
Skier an und wagt schließlich den Aufstieg auf den nun symbolisch dargestellten Berg. Nach starkem Anfang und
kämpferischem Mittelteil landet er schließlich in der Stagnation.
Mehr noch: er scheitert. Sturm und Schnee bezwingen ihn, er knickt
ein, kommt in die absolute Einsamkeit und Notlage. Die Not geht
soweit, dass er gezwungen ist, seinen Urin zu trinken und er beschließt einen rohen
Hasen, der ihm zugelaufen kommt (natürlich auch symbolisch: ein Kuscheltier wird ihm zugeworfen) zu fressen.
Dann drehen sich die Pole auf einmal um. Nicht nur
haben hat die Kompanie ganz elegant eine neue Ebene, nämlich die
Hochebene, eingeführt, nein, nicht nur das. Sie haben auch die Pole
von Rivalität und Freundschaft umgedreht. Denn der Elektrikerfreund,
der vorher größter Kontrahent war und auch bei der Episode des
Scheiterns seine boshafte Rolle als Helfer des Bösen boshaft ausspielte,
eilt dem Verschollenen nun zur Hilfe. Er rettet ihn und gemeinsam
bezwingen sie in einem letzten immensen Anstrengungsakt den Gipfel.
Freundschaft und Teamplay triumphieren.
Die dritte Szene ist
schwieriger zu entschlüsseln. Die Treppe wird um ein langes Teil erweitert und erreicht nun eine beachtliche Höhe. Ein kleiner Sarg kommt auf der Bühne
an, der mühsam auch zuerst alleine von unserm Vokuhilaträger die
Treppe nach oben transportiert wird. Diesen Sysiphosstein meistern
die beiden auch wieder nur im Team. Die Nummer ist witzig – nicht
nur wegen der gekonnt übertriebenen Anstrengungsmimik der
Schauspieler, sondern auch wegen der unverhohlen zur Schau getragenen
Fallussymbolikschabernack, der mit dem Kindersarg veranstaltet wird.
Als die beiden den Sarg endlich hochgeackert haben, öffneten sie die
Bodenluke in dem Podestelement, zünden eine Nebelmaschine und
versenken den Sarg in dem Loch....Über Deutungsvorschläge freue ich mich.
Nach dieser Szene kommt
eine vierte Großszene, die man als „Lehrstück vom
gesellschaftlichen Aufstieg betiteln könnte. Die Treppenelemente
wurden zwischen den Szenen von den beiden Schauspielern so
verschoben, dass sie eine Treppe mit Knick ergeben. Ganz deutlich
geht es nun um die Hierarchie in der kapitalistischen Gesellschaft.
Wenn es ein oben gibt, gibt es auch ein unten. Und wer unten ist,
versucht nach oben zu kommen. Die Level, die die Schauspieler zur
Schau stellten waren Kaffekocher-Büroarbeiter und Reinigungskraft,
Abteilungsleiter, Finanzhai und Börsenmakler, Manager...Und
aufgezeigt wurden die Wirkungsmechanismen und die Triebfedern der
Menschen in diesem System: Neid, Macht und Überheblichkeit,
Raffinesse Geld und Skrupellosigkeit. Wie komme ich eine Stufe höher
als mein Vordermann? Besonders witzig: die „Ich schlafe mich hoch –
Variante“. Ein Blowjob allein bewahrt einen eben doch nicht sicher
vor dem Platz als Kaffeekocher und davor, dass die Person vor einem
auf der Treppe weiterhin orgiastisch seinen Selbsterfolg unverhohlen
weiterfeiert...köstlich ausgespielt kringelt man sich vor Schadenfreude.
Nach dieser Variante der
ganz oben stehenden Gesellschaftsmitglieder erfolgt wieder eine
raffinierte Achsenspiegelung. Szene Nummer fünf: Von ganz oben geht es nach ganz unten.
Die beiden Schauspieler, die sich vorher noch in Anzügen auf den
höchsten Rängen der Topetagen um ein paar Millionen mehr oder
weniger streiten, präsentieren sich auf einmal als Borachos:
Mexikaner mit Sombreros, vollkommen besoffen und unten. Warum? Eine Alarmsirene ging, der Börsencrash erfolgte. Die beiden setzen sich mit Reisekoffern ab ins Ausland. Was nun
folgte darf man ruhig als Höhepunkt der Show betrachten. Der
polnische Elektrikerschauspieler torkelt sturzbesoffenen Stufe um
Stufe der Treppe empor, immer kurz davor herunterzufallen. Atem
stockend garantiert, spätestens ab einer Höhe von 5 Metern...
Schließlich kommt eine sechste und letzte Variation der Situation: Es geht zurück zum
Anfang. Schauspieler A und B werden wieder die alten Greise, die
gekrümmt auf ihre Gehstöcke und mit Sauerstoffschläuchen in der
Nase um die Ecke tatterten. Auch sie tappen wieder in die Falle der
Rivalität im Kampf um den besseren Platz da oben. (open = offen)
Sie wollen die ganz große Treppe hoch. Diese immensen körperlichen
Strapazen mit Gehstock und Sauerstoffschlauch in der Nase? Eine dumme
Idee, natürlich, und die Kompanie tut dem Zuschauer den Gefallen,
sie mit einem Sammelsurium aller erdenklichen Fieseleien und Gemeinheiten auszuspielen.
Die Tatsache, dass sich Greise bekämpfen, von denen man doch Maß,
Verständnis und Rücksichtsnahme erwarten würde, macht die
dargebotene Situation umso lustiger. Der Verfremdungseffekt...Krücke wegziehen,
Zigarettenrauch in die Sauerstoffsonde blasen – alles ist erlaubt,
wenn es darum geht, vor dem andern am Ziel anzukommen.
Und doch, so
bewährt sich in dem Stück: Nach oben schafft man es am Ende nur
gemeinsam. (Mitschnitt der Szene siehe unten)
Fazit:
Spektauläres Slapstick und Körpertheater über die Symbolik des oben und unten, vorne und hinten in der Gesellschaft, dargestellt anhand eines Minumums an Requisiten, die alle optimal benutzt werden innerhalb von maximal ausgespielten Mikroszenen. Bravo!
Spektauläres Slapstick und Körpertheater über die Symbolik des oben und unten, vorne und hinten in der Gesellschaft, dargestellt anhand eines Minumums an Requisiten, die alle optimal benutzt werden innerhalb von maximal ausgespielten Mikroszenen. Bravo!
Infos zur Gruppe: http://www.dejongens.info/nl/voorstellingen/
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