Weder überfordern, noch langweilen darf ein Film seinen Zuschauer, wenn er gut und trotzdem erfolgreich seien möchte. Matrix, Twelf Monkeys, Avatar, Inception - Filme, die mit mehreren ineinander verschachtelten Realitäten arbeiten sind, berühmte Kandidaten, die diese Gratwanderung meistern. Und auf seltsame Weise und doch ganz anders reiht sich auch Meirelles Film über die beiden Päpste in diese Reihe ein. Zugegeben, der Vergleich ist etwas weit hergeholt, da man nicht in eine Computersimulation, einen anderen Planeten und einen anderen Körper und auch nicht in die Träume anderer Menschen einsteigt und sie dort manipuliert. Aber mit der Zeitreise und Twelf Monkeys ist man vielleicht gar nicht so weit davon entfernt. Warum? Das erkläre ich hier!
Zunächst muss ich als werdender Dinosaurier aber noch kurz kommentieren und bezeugen, wie sich die Filmbranche verändert hat!
Zu meiner Jugend kam ein Film in die Kinos. Über neue oder laufende Filme wurde man informiert über Mundpropaganda, die Mickey Maus, die Trailer im Kino selbst, das Jugend-Action-Magazin "Limit" oder Werbung und Artikel in der Zeitung. Irgendwie bekam man außerdem auf ganz wundersame Art und Weise das Erscheinen jedes neuen Disneyfilms mit. Aladin, die Schöne und das Biest, der König der Löwen, Tarzan, Mulan Lilo und Stich - irgendwie hat Disneys Propaganda IMMER funktioniert! Das Internet gab es damals zuerst noch nicht oder es spielte nur eine marginale Rolle.
Der Film, über den ich hier schreibe, lief gerade einmal zwei Woche im Dezember 2019 Kino, um für die Oskars nominiert werden zu können, bevor er als exklusive Netflix Produktion seitdem auf Netflix läuft. Netflix ist ein sogenannter Streaming-Anbieter, das heißt, er bietet überwiegend Serien aber auch Filme, als Online-Stream zum Zuhausekucken an. Im Falle Meirelles Film also im Homekino, im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist schon ein bisschen verrückt, zumal die Idee schon vor dem Corona Lockdown durchgezogen wurde. Zusammengefasst möchte ich also dokumentieren, dass sich das Filmwesen derart entwickelt hat, dass das Internet zunächst gar keine Rolle spielte und jetzt am Thron des traditionellen Kinobesuchs, gewissermaßen am Kinosessel selbst, sägt.
So, nun aber zu den Vatikanhütern.
Der Inhalt des Films ist so einfach, wie schwer zu erzählen. Wenn man wollen würde, könnte man sagen, dass der Film nicht mehr ist, als eine kirchenpolitische Dienstunterhaltung zwischen dem Papst und einem seiner Kardinäle in der Sommerresidenz des Papstes, denn der Kardinal möchte zurücktreten. Über zwei Stunden würde dieser Inhalt den Otto-Normal-Filmkonsumenten aber überfordern, schließlich ist der Film ein Mainstreamfilm und keine Nischendoku, wie z.B. "Die große Stille". Also muss mehr drinnenstecken als trockene Kirchenpolitik. Und das tut es auch.
Dabei sind die Zutaten, die den Film zu dem machen, was er ist, folgende: Zum einen sind die Figuren Ratzingers und Bergoglio Widersacher, Kontrahenten oder wenigstens Duellanten. Ein verknöcherter, alter, freudloser Dienstvollstrecker, konservativ bis über beide Ohren - Ratzinger - trifft auf einen sympathischen, jovialen, volksnahen, fußballbegeisterten und freien Lebensfreund Bergoglio. Einen großen Teil des Films macht es aus, wie Ratzinger seinem Dienst-Untergebenen die Unterschrift unter sein Rücktrittsgesuch verweigert, ihn patriarchisch ein ums andere Mal die kalte Schulter zeigt und abblitzen lässt. Mit einer Engelsgeduld und Verstandesschärfe fängt Bergoglio das auf. "Wird Ratzinger ihm den Dienst erweisen? Bekommt Bergoglio die Unterschrift?" Das sind die Fragen, die die Spannung des Zuschauer zunächst für das erste Drittel des Films, beim Eiertanz der beiden außergewöhnlichen Figuren, amüsiert zuschauen lässt. Bergoglio, mit dieser wahnsinnigen Milde im Gesicht, wird immer sympathischer! "Wird er den alten sturen Bock bekehren? Lässt er sich bekehren?" Zunächst also ein Kammerspiel.
Einen Wendepunkt nimmt den Zuschauer dann mit in eine retrospektive Berg-und-Talfahrt durch die Erinnerungen des sympathischen Underdogs Bergoglio. Denn der Papst möchte zurücktreten und Bergoglio als seinen Nachfolger.
Warum dies nicht geht, das versucht der Kardinal im zweiten Teil des Films zu erklären. Ausgerechnet dieser Sympathiebolzen weist Fehler auf? Geschickt führt Meirelles den Zuschauer weiter durch den Film. Zunächst wagt er einen Abstecher in das Thema, das jeden angeht: Die Liebe. Und er zeigt, wie sich Bergoglio gegen die Liebe entscheidet und für das Priestertum bei den Jesuiten. (Ein Fehler? Wir denken mit der Hauptfigur an manchen Stellen darüber nach, aber nur in Bildern...) Meirelles bringt uns die Figur Bergoglio nähern und gleichzeitig entfremdet er uns von ihr und lässt uns begreifen, dass er anders ist, als wir. Wir finden uns zwar wieder in seinen Selbstzweifeln und seiner Fehlerhaftigkeit und fühlen mit ihm - oder der Braut - die große Liebe, die uns alle schon berührt hat. Aber wir schauen auch erstaunt auf ihn, weil er anders handelt, als wir: Er folgt dem Ruf Gottes in das Priesterseminar. Dies ist die eine Episode aus der Vergangenheit. Bergoglios, die uns die Figur, die vorher so glatt und nichts als gut, warmherzig und offen war, in ein anderes Licht rückt und näherbringt.
Und dann geht es raus aus dem Privaten und rein in die große, politische Welt und Meirelles lässt uns ein Dilemma an der Seite seiner Figur durchleiden. Wir erleben, wie Bergoglio Schuld auf sich lädt im argentinischen Bürgerkrieg.
Warum dies nicht geht, das versucht der Kardinal im zweiten Teil des Films zu erklären. Ausgerechnet dieser Sympathiebolzen weist Fehler auf? Geschickt führt Meirelles den Zuschauer weiter durch den Film. Zunächst wagt er einen Abstecher in das Thema, das jeden angeht: Die Liebe. Und er zeigt, wie sich Bergoglio gegen die Liebe entscheidet und für das Priestertum bei den Jesuiten. (Ein Fehler? Wir denken mit der Hauptfigur an manchen Stellen darüber nach, aber nur in Bildern...) Meirelles bringt uns die Figur Bergoglio nähern und gleichzeitig entfremdet er uns von ihr und lässt uns begreifen, dass er anders ist, als wir. Wir finden uns zwar wieder in seinen Selbstzweifeln und seiner Fehlerhaftigkeit und fühlen mit ihm - oder der Braut - die große Liebe, die uns alle schon berührt hat. Aber wir schauen auch erstaunt auf ihn, weil er anders handelt, als wir: Er folgt dem Ruf Gottes in das Priesterseminar. Dies ist die eine Episode aus der Vergangenheit. Bergoglios, die uns die Figur, die vorher so glatt und nichts als gut, warmherzig und offen war, in ein anderes Licht rückt und näherbringt.
Und dann geht es raus aus dem Privaten und rein in die große, politische Welt und Meirelles lässt uns ein Dilemma an der Seite seiner Figur durchleiden. Wir erleben, wie Bergoglio Schuld auf sich lädt im argentinischen Bürgerkrieg.
Der Kardinal selbst stellt es so dar, dass er mit der Junta kooperierte und die Jesuiten verraten hatte. Dies mache es ihm unmöglich Papst zu werden. Es ist die dunkelste Episode des Films. Recht schonungslos zeigt Meirelles die gräulichen Seiten des Menschen, die abscheuliche Hässlichkeit profaner, "gottloser" und egoistischer Machtpolitik, die skrupellos politische "Säuberungen" vornimmt, die erschießt, einsperrt und einschüchtert.
Dabei trifft Bergoglio nicht die Schuld, die er sich gibt, zumindest kantianisch gedacht: Sein Wille war gut und nach Kant ist dieser das einzige, das beim Handeln zählt. Meirelles lässt es außerdem nicht aus, die Missbrauchsfälle der Kirche als Gegengewicht zur "großen Schuld" auf Seiten Ratzingers und der katholischen Kirche in Europa anzubringen.
Doch aller guten Dinge sind drei und die dritte Zutat, die den Film garniert und so außergewöhnlich macht, dass es wert ist, ihn zu erzählen und der bequeme Mainstreamkucker doch aufgrund des sonderbaren Inhalts Gefallen am Film findet: Es ist die berühmte unerhörte Begebenheit, die dem Film nochmals besondere Würze gibt: Der Papst möchte zurücktreten (!) und seinen Platz freimachen für Bergoglio, denn er ist alt und ausgebrannt, freudlos und meint, er höre die Stimme Gottes nicht mehr und er erkennt, das Bergoglio genau die Wendung in der Kirchenpolitik verkörpert, die der Kirche fehlt.
Insofern wird es ein Katz- und Mausspiel bei dem viel auf dem Spiel steht, und große Entscheidungen anders getroffen werden, als bei uns Ungläubigen. Denn es gibt einen Faktor, der uns nicht betrifft: Gottes Willen und die Selbstverpflichtung Bergoglios in Gottes Dienst zu stehen.
Ein "Ich möchte das nicht" alleine, reicht nicht aus. Die Figuren müssen sich fragen: "Möchte Er es auch?", "Würde ER es mir verzeihen?" "Ist ES ein Zeichen von IHM?"
Ein "Ich möchte das nicht" alleine, reicht nicht aus. Die Figuren müssen sich fragen: "Möchte Er es auch?", "Würde ER es mir verzeihen?" "Ist ES ein Zeichen von IHM?"
Schließlich bekommt der Film noch weitere Würze durch die Standesklausel, durch das Setting, in dem er spielt: Denn eine böse Tat wiegt für einen Papst oder einen Papstanwärter - den Vertreter Gottes auf Erden - nunmal schwerer, als für den normalsterblichen Sünder. Der Rücktritt von einem Chefposten einer Firma ist nunmal etwas Anderes, als der Rücktritt vom Papstposten.
Zusammengefasst: Meirelles webt einen äußert vielschichtigen Film, der Anteile einer Novelle in den höchsten Sphären der Macht besitzt und dabei recht klassisch eine Rahmenhandlung aufweist, wie "Der Schimmelreiter".
Diese selbst ist aber schon so außerordentlich - der Papst möchte zurücktreten! -, dass sie den Rahmen des Gewohnten sprengt. In diese exquisite Rahmenhandlung ist eine Binnenhandlung eingewebt, die uns in Form einer Retrospektive schrittweise an die Figur Bergoglios heranführt - als Privatperson und als politische (Schach-)figur, die unter äußeren Zwängen handeln muss. (Hier sidn nun auch die entfernten Parallelen zu Inception, 12Monkeys usw...)Eine dritte Quelle, die dem Film Leben einspeist, ist die Unterschiedlichkeit der beiden alten Männer und die Verbissenheit auf beiden Seiten, mit der sie ihre Ziele auf unterschiedliche Weise erreichen möchten. Sie arbeiten sich aneinander ab. Bei diesem Duell zuzuschauen bereitet Freude!
Diese selbst ist aber schon so außerordentlich - der Papst möchte zurücktreten! -, dass sie den Rahmen des Gewohnten sprengt. In diese exquisite Rahmenhandlung ist eine Binnenhandlung eingewebt, die uns in Form einer Retrospektive schrittweise an die Figur Bergoglios heranführt - als Privatperson und als politische (Schach-)figur, die unter äußeren Zwängen handeln muss. (Hier sidn nun auch die entfernten Parallelen zu Inception, 12Monkeys usw...)Eine dritte Quelle, die dem Film Leben einspeist, ist die Unterschiedlichkeit der beiden alten Männer und die Verbissenheit auf beiden Seiten, mit der sie ihre Ziele auf unterschiedliche Weise erreichen möchten. Sie arbeiten sich aneinander ab. Bei diesem Duell zuzuschauen bereitet Freude!
Das alles betraf nun die Handlung. Aber auch wie die Bilder eingefangen, rhythmisiert, vertont und zusammengeschnitten sind, verleiht dem Film einen einzigartigen Touch!
unvergesslich zusammengeschnitten: die Papstwahl |
Mögliche Überschriften:
1. Die Bekehrhung des Sturkopfs
2. Die Erkenntnis des Sturkopfs: Du bist der neue Papst! Dich braucht die Kirche!
3. "Nein, ich kann das nicht!": Bergoglios Vergangenheit im argentinischen Bürgerkrieg.
4. Doch, du kannst. Der Papst tröstet und spendet Glauben.
5. "Auch ich habe Schuld!" - Ratzinger und die Missbrauchsfälle.
6. Wir tanzen Tango!
7. Ende gut, alles gut!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen