Freitag, 21. Juni 2013

King Lear im Mainfrankentheater

King Lear (De Nil) und Kent/Narr
King Lear im Mainfrankentheater 2013.

1. Inhalt: 

Der alternde König Lear möchte sein Reich zwischen seinen Töchtern aufteilen, um in Ruhe seinem Lebensabend entgegentreten zu können. Bei der Verteilung des Landes hat er eine Bedingung: Jeder der Töchter möge ihm versichern, wie sehr sie ihn liebe. Die zwei älteren Schwestern, machtgierig und scharfzüngig, sprechen dem Alten vor, was er hören möchte und betören ihn in einer Art Liebkosung und Schmeichelei. Ganz anders dagegen die dritte Tochter. Sie begeht den vermeintlichen Fehler in dieser Situation ehrlich zu sein: "Vater, ich liebe euch so, wie eine Tochter ihren Vater eben liebt - nicht mehr und nicht weniger". Für soviel Ehrlichkeit ist die Welt nicht gemacht und wo es im Sprichwort heißt: "Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd" (Billy the Kid) heißt es in der Tragödie leer ausgehen: Das june Mädchen kassiert nichts als Missverständnis und Verachtung und geht mit leeren Händen aus.
Soviel zur Exposition. Doch Tote müssen in einer der fünf großen Tragödien Shakespeares her und so entpuppen sich die beiden älteren Schwestern zu wahren Monstern ("Wölfen", heißt es im Stück), die den Vater kurzerhand absetzen. Dieser, machtlos und verblendet von der Grausamkeit des eigenen Fleisches, wird vom Wahnsinn befallen und zieht fortan mit einem Narr, der sich ihm als Figur des getreuen Dieners anschließt, verwirrt durch die Lande. Die Schwestern dagegen werden immer dreister und abgeklärter, entledigen sich noch eines dritten Rads am Wagen (der unseelige wird geblendet), und auch dieser darf parallel zu Lear und seinem Narren mit dem verstoßenen Schwiegersohn an seiner Seite (den er natürlich nicht erkennt) durch die Lande ziehen. Enttäuscht vom Leben möchte letzterer nur zum Meer gelangen, um sich dort von den Klippen in den Tod zu stürzen. 
Wie es am Ende zu einem Haufen Leichen kommt, möchte ich nun aber nicht verraten. Selber anschauen oder lesen und verzaubern lassen. 

2. Zur Inszenierung: 

Suschke hat sein Handwerk souverän angewendet. Als Szenerie dient wieder einmal (wie bei seiner Maria Stuart Inszenierung) die große Drehbühne mit einer offenen dreiseitig bespielbaren Haus/Raumkulisse sowie für die Nacht- und Draußenszenen nichts anderes als ein schwarzes treppenstufenartig aufgebautes Podest am vorderen Teil der Bühne. Die klangliche Untermalung ist modern (also Bit-Sounds, Basslines, Gefrickel), die Figuren sanft modernisiert, bzw. interpretiert.
Zwei Machtladys, die der russischen Neo-Aristokratie entsprungen sein könnten (die eine weiß, die andere schwarz), vermummte Helfer und der König ohne Krone im weißen Anzug, der zunehmend zerfleddert. Mittelgestalten im grauen Herrenanzug oder Mantel und "der schwarze Mann" als kühler, meuchelmordbereiter Diener der Mylady, der eine ganze Salve rassistischer Witze vom Narren "Kent" engegengeschleudert bekommen hat ("Wenn ich dich sehe, wird mir schwarz vor Augen") - und ironisch gut, mit der Banane im Mund, als Sieger aus dem Wortgefecht herauskommt.

3. Das für mich Besondere

Die Rolle des Narren. Suschke und das Ensemble haben hier endlich mal eine Figur geformt, die auch aus dem konventionellen Sprachtheater herauskommt und in die Gefilde des Körpertheaters eindringt. Der Narr hat ein permanentes Bewegungsmuster zwischen Veitstanz, "Living Statue" und Klamauk-Charley-Chaplin Slapstick aufgebaut. Eine wahre Augenweide, gepaart mit dem Shakespearschen Wortwitz und der Brillianz der Narrenrolle an sich, die ja die Freiheit hat, Wahrheiten kunstvoll verpackt auf der Bühne auszusprechen (spielerisch und wahnsinnig gescheit - die Spieltrieb-Theorie nach Schiller par exellence). 
Das Komische im Verstell- und Verwechslungsspiel. Genauer:  das Spiel mit dem Wahnsinn, bzw. dessen Darstellung (King Lear) sowie das "Wahnsinnig Spielen" (der Narr) nebeneinander und in gemeinsamer Kumpelhaftigkeit - als König und Narr sich druch die Nacht und das Unwetter schlagen (Shakespeare! Was alles in einer Nacht geschehen kann! Wer wann wie und unter welchen Umständen aufeinandertrifft, während der Zuschauer um alles weiß, alles Versteck- und Verstellspiel, alles Geschehene und eventuell kommende Unrecht und die Figuren dank der geschlossenen vierten Wand gegenüber ihrem eigenen Schicksal so blind sind).
Wie sie auf die zwei anderen Narren treffen - den Geblendeten und den anderen Versteller, seinen verstoßenen Sohn. Die Brillianz der isnzenierten Sterbeszene des Vaters (stürze ich?) und - auch das typisch Shakespear: -  das Dämonische in den Figuren der beiden Schwestern.

4. Die paar Wermutstropfen:

a) Timing: Die erste Gewitterszene, in der die Bühne selbst sprechen durfte (ja!), zog sich bis der Effekt, der einen Anfangs stark berührte, verflogen war. Auch warten die Figuren bis sie auf die Bühne kamen, bis der Nebel verzogen und der Lärm des inszenierten Gewitters wieder abgeflacht waren. Nach meinem Geschmack kürzer, damit der Effekt nicht verloren geht, und naturalistischer, wenn man nicht durch künstliche Pause auf die Verstehbarkeit der Figuren setzt. (Der Zuschauer muss selbst entscheiden können, ob er den Sturm, oder die Aussagen der Figuren oder Beides hören möchte, oder den Realismus der Situation genießt).
b) Akutalisierungs-Ausrutscher: "Schlampe." - "Hure" - "Bitch" - "Treffer". ?
c) Provokation durch Untergürtellinien-Obszönität
d) "Sein oder nicht sein - Ach, Scheiß drauf."Was macht das in diesem Drama? 



Fazit: Tolles Stück in einer in jedem Falle unterhaltsamen Inszenierung. Anschauen! 


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