Mittwoch, 11. September 2013

at.tention # 1: De Jongens: The Trap / Stairs





Theatergroup de Jongens – the Trap; at.tention 2o13. Ich bin noch ganz verzaubert vom at.tention Festival auf dem Gelände der Fusion, dem Flughafen Lärz. Freier Himmel, freies Volk...

Keine Angst vor dem Aufstieg, denn der Fall ist lang.


Das Bild vom gesellschaftlichen Aufstieg als Treppe ist altbacken und bekannt. Das Bekannte neu in Szene zu setzen und so darzustellen, dass es erfreut und belehrt oder lange vergessene Binsenweisheiten wieder in Erinnerung ruft, ist eine der Hürden, die „gute“ Kunst zu nehmen hat. Exakt diese Hürde hat die junge niederländische Theatergruppe um Jan Joost Alberts und Mats Boswijk, Taco van Dijk und Maarten Smit mit Stil und Lässigkeit genommen.

Was?

Zwei Schauspieler waren zu sehen. Als zwei alte Greise kamen sie um die Ecke ihrer Bühne getingelt und stellten sich dem Publikum als mimikstarke und körperbegabte Imitationsschauspieler vor, die wie alte Männer nuschelten und stänkerten.
Die Bühne selbst war draußen platziert. Nach all dem Hin und Her mit dem zusammengebrochenen Kartensystem für die Zelte und Hangars sehr angenehm keine Platzangst haben zu müssen. Direkt an der alten Landebahn unter schwarzblauem Sternenhimmel bestand sie aus ein paar halbkreisförming arrangierten Sitzgruppen und zwei-drei Reihen Gummimatten für Vornesitzer. Verhüllt war eine etwa drei Menschen hohe Art Leinwand zu sehen und ein kleines Baugerüst mit Rollen unten dran, das zu einer Treppe umgebaut worden war. 
Im Laufe des Stückes bauten die beiden Schauspieler die Treppe immer weiter aus. Insgesamt drei Teile waren am Ende zusammengeführt: die untere Basistreppe, ein höheres Podest und schließlich die hohe Endtreppe, die bis in die Sterne zu ragen schien.
Die Schauspieler waren unterschiedlich von ihrer Erscheinung her. Der eine hatte Schnauzbart und gelockten Vokuhila, der andere war sah wie ein ernster polnischer Handwerker, am ehesten m.E. Elektriker aus. 

Inhalt: 
Sie spielten ein parabelhaftes Slapstick-Lehrstück auf das Leben, das sich aus mehreren Mikroszenen zusammensetzte. 

Die erste Szene: Zwei alte Männer kommen um die Ecke und beschließen ein Wettrennen zu machen. Auf drei geht es los und sie beginnen kämpferisch und mit einer Zeitlupenszene ihr Wettrennen nach vorne.
In der zweiten Szene ändert sich einiges: Die Bühne transformiert sich, indem der Elektrikerschauspieler die Basistreppe um das Eck schiebt. Der andere Schauspieler schnallt sich in der Zwischenzeit Skier an und wagt schließlich den Aufstieg auf den nun symbolisch dargestellten Berg. Nach starkem Anfang und kämpferischem Mittelteil landet er schließlich in der Stagnation. Mehr noch: er scheitert. Sturm und Schnee bezwingen ihn, er knickt ein, kommt in die absolute Einsamkeit und Notlage. Die Not geht  soweit, dass er gezwungen ist, seinen Urin zu trinken und er beschließt einen rohen Hasen, der ihm zugelaufen kommt (natürlich auch symbolisch: ein Kuscheltier wird ihm zugeworfen) zu fressen. 
Dann drehen sich die Pole auf einmal um. Nicht nur haben hat die Kompanie ganz elegant eine neue Ebene, nämlich die Hochebene, eingeführt, nein, nicht nur das. Sie haben auch die Pole von Rivalität und Freundschaft umgedreht. Denn der Elektrikerfreund, der vorher größter Kontrahent war und auch bei der Episode des Scheiterns seine boshafte Rolle als Helfer des Bösen boshaft ausspielte, eilt dem Verschollenen nun zur Hilfe. Er rettet ihn und gemeinsam bezwingen sie in einem letzten immensen Anstrengungsakt den Gipfel. Freundschaft und Teamplay triumphieren.
Die dritte Szene ist schwieriger zu entschlüsseln. Die Treppe wird um ein langes Teil erweitert und erreicht nun eine beachtliche Höhe. Ein kleiner Sarg kommt auf der Bühne an, der mühsam auch zuerst alleine von unserm Vokuhilaträger die Treppe nach oben transportiert wird. Diesen Sysiphosstein meistern die beiden auch wieder nur im Team. Die Nummer ist witzig – nicht nur wegen der gekonnt übertriebenen Anstrengungsmimik der Schauspieler, sondern auch wegen der unverhohlen zur Schau getragenen Fallussymbolikschabernack, der mit dem Kindersarg veranstaltet wird. Als die beiden den Sarg endlich hochgeackert haben, öffneten sie die Bodenluke in dem Podestelement, zünden eine Nebelmaschine und versenken den Sarg in dem Loch....Über Deutungsvorschläge freue ich mich.
Nach dieser Szene kommt eine vierte Großszene, die man als „Lehrstück vom gesellschaftlichen Aufstieg betiteln könnte. Die Treppenelemente wurden zwischen den Szenen von den beiden Schauspielern so verschoben, dass sie eine Treppe mit Knick ergeben. Ganz deutlich geht es nun um die Hierarchie in der kapitalistischen Gesellschaft. Wenn es ein oben gibt, gibt es auch ein unten. Und wer unten ist, versucht nach oben zu kommen. Die Level, die die Schauspieler zur Schau stellten waren Kaffekocher-Büroarbeiter und Reinigungskraft, Abteilungsleiter, Finanzhai und Börsenmakler, Manager...Und aufgezeigt wurden die Wirkungsmechanismen und die Triebfedern der Menschen in diesem System: Neid, Macht und Überheblichkeit, Raffinesse Geld und Skrupellosigkeit. Wie komme ich eine Stufe höher als mein Vordermann? Besonders witzig: die „Ich schlafe mich hoch – Variante“. Ein Blowjob allein bewahrt einen eben doch nicht sicher vor dem Platz als Kaffeekocher und davor, dass die Person vor einem auf der Treppe weiterhin orgiastisch seinen Selbsterfolg unverhohlen weiterfeiert...köstlich ausgespielt kringelt man sich vor Schadenfreude. 
Nach dieser Variante der ganz oben stehenden Gesellschaftsmitglieder erfolgt wieder eine raffinierte Achsenspiegelung. Szene Nummer fünf: Von ganz oben geht es nach ganz unten. Die beiden Schauspieler, die sich vorher noch in Anzügen auf den höchsten Rängen der Topetagen um ein paar Millionen mehr oder weniger streiten, präsentieren sich auf einmal als Borachos: Mexikaner mit Sombreros, vollkommen besoffen und unten. Warum? Eine Alarmsirene ging, der Börsencrash erfolgte. Die beiden setzen sich mit Reisekoffern ab ins Ausland. Was nun folgte darf man ruhig als Höhepunkt der Show betrachten. Der polnische Elektrikerschauspieler torkelt sturzbesoffenen Stufe um Stufe der Treppe empor, immer kurz davor herunterzufallen. Atem stockend garantiert, spätestens ab einer Höhe von 5 Metern...
Schließlich kommt eine sechste und letzte Variation der Situation: Es geht zurück zum Anfang. Schauspieler A und B werden wieder die alten Greise, die gekrümmt auf ihre Gehstöcke und mit Sauerstoffschläuchen in der Nase um die Ecke tatterten. Auch sie tappen wieder in die Falle der Rivalität im Kampf um den besseren Platz da oben. (open = offen) Sie wollen die ganz große Treppe hoch. Diese immensen körperlichen Strapazen mit Gehstock und Sauerstoffschlauch in der Nase? Eine dumme Idee, natürlich, und die Kompanie tut dem Zuschauer den Gefallen, sie mit einem Sammelsurium aller erdenklichen Fieseleien und Gemeinheiten auszuspielen. Die Tatsache, dass sich Greise bekämpfen, von denen man doch Maß, Verständnis und Rücksichtsnahme erwarten würde, macht die dargebotene Situation umso lustiger. Der Verfremdungseffekt...Krücke wegziehen, Zigarettenrauch in die Sauerstoffsonde blasen – alles ist erlaubt, wenn es darum geht, vor dem andern am Ziel anzukommen. 
Und doch, so bewährt sich in dem Stück: Nach oben schafft man es am Ende nur gemeinsam. (Mitschnitt der Szene siehe unten)

Fazit: 
Spektauläres Slapstick und Körpertheater über die Symbolik des oben und unten, vorne und hinten in der Gesellschaft, dargestellt anhand eines Minumums an Requisiten, die alle optimal benutzt werden innerhalb von maximal ausgespielten Mikroszenen. Bravo!



Infos zur Gruppe: http://www.dejongens.info/nl/voorstellingen/

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