Dienstag, 7. November 2017

Zorngebete - harte Tatsachen, nackte Fakten - Ein Selbstbehauptungsstück mit Ringen um Gott

Der Blick nach oben...Das Dasein als harte Prüfung in allen abrahamitischen Religionen
"Zorngebiete" von Saphia Azzeddine im Theater Ensemble.

Inhalt: 

Die Hirtentochter Jbara - ein kleines unbedeutendes Wesen in der großen weiten Wüste im islamischen Maghreb kämpft ihren Kampf ums Überleben.
Dabei entflieht sie nach einer Schwangerschaft, in der sie traditionell die einzig "Schuldbehaftete" ist in die nächste Stadt. Ihr ganzes Leben ist von Prostitution geprägt. Zunächst in ihrer Zeltburg, dann in der Stadt in einem Café, in dem sie wischen und wohnen darf, dann in einem reicheren Anwesen, wo sie als Mädchen für alles arbeitet und vom jungen Hausprinzen vergewaltigt und zuletzt sogar begehrt wird und schließlich als Nobelprostituierte der Scheichs bis sie im Gefängnis landet.

Das Erleben der Aufführung:

Die schreiende Ungerechtigkeit, die ihr über das ganze Stück widerfährt, überspielt Jbara mit beissendem Pragmatismus, Lakonik, einer gehörigen Brise Musik, Tanz, Lächeln, gewitzten Vergeltungsaktionen. Nur manchmal, da funktioniert das nicht. Das sind die stillen Momente des Stücks, die kaum zu ertragen sind und in denen man sich wieder freut auf die sympathische, energische, kreative und ideenreiche Jbara - hervorragend dargestellt von Mira Leibold und ihren unschuldigen Mädchenträumen, ihrer kämpferischen Naivität bei dem Versuch den american dream der Maghrebs zu erleben.

Die Religion - Richter und Gewissen:

Immer wieder kommt Allah ins Spiel, die Definitionen von Haram, die sie gelernt hat, ihre Selbstreflexion hinsichtlich dessen, was sie aus Notwendigkeit mit ihrem Körper tat und was sie aus Möglichkeit tat. Zwei Welten treffen hier aufeinander - kalter, pragmatischer Materialismus auf der einen Seite und auf der andern Seite Tradition und die uns Menschen innewohnende Moral als göttliche Stimme, wie ich sie von der "vox dei" Tradition kenne.
Jbaras Kritik am Glauben ist, wenn sie sie von sich gibt, absolut niederschmetternd. Marx These von der Religion als "Seufzer der geknechteten Kreatur" kann man ganz deutlich an Vater und Mutter des Mädchens heraushören und deren Glauben, dass die Wege Allahs nicht zu durchschauen sind, dass man aber an ihn glauben müsse, denn nur so würde er einen nach einer Zeit der Prüfungen auch belohnen können. Allah sei schlau, er ließe sich nicht so leicht in die Karten schauen.

Zur Dramaturgie:

Die Handlung hat mehr oder weniger einen klassischen Verlauf. Dramaturgisch gibt es einen Moment der hamartia, einem Fehler der Heldin, die zu ihrem dramatischen Untergang führt. Hätte sie einen Heiratsantrag angenommen und sich mit dem zufrieden gegeben, was das Leben ("Allah") ihr schickt, dann wäre sie am Ende nicht im Gefängnis gelandet. In der Unbeantwortbarkeit dieser Frage, daran scheint die Figur Jbara am Ende auch zu zerbrechen.

Zuletzt meint Jbara noch, dass sich Allah in Grautönen offenbare.


Inszenierung:

Die Inszenierung war konzentriert, voller Tempo, frisch mit der aufgesetzten Fröhlichkeit einer Heidi Klum und der Härte eines Bernhard'schen Abrechnungsmonologs, reduziert auf ein Sofa und vier verschiedene Lichteinstellungen, einige Musikeinspieler.
Dem Text und der Inszenierung ist es gelungen, diese spartanische Einrichtung vollkommen aus den Augen verlieren und viele mentale, gestochen scharfe Bilder entstehen zu lassen.
Zu keiner Zeit langweilig, immer fesselnd, toll artikuliert und intoniert, präsent - kurzum: eine absolute Empfehlung!

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