Mittwoch, 8. Juni 2011

Jim Jarmusch: Limits of Control (2009): Betrachtung statt Handlung


Jim Jarmusch: Limits of Control (2009): eine Recherche der Kunst für den Zuschauer.

Was will uns dieser Film sagen?
Der Plot

Ein gutaussehender schwarzer Mann im blauen Anzug hält sich in einer spanischen Großstadt auf. Er befindet sich in einem Appartement, verbringt viel Zeit damit auf dem Bett zu liegen und die Decke anzustarren, geht ins Museum und betrachtet Bilder, macht Tai Chi und verwirrt eine schwarzhaarige Schönheit, die sich Mal für Mal, wenn er nachhause kommt, in einer anderen aufreizenden Art um seine Aufmerksamkeit bemüht.
Schließlich kommt Bewegung in den Film, als unser besagter Mann von einer Dame eine Streichholzschachtel der Marke „le boxeur“ bekommt, mit einem Hinweis auf ein weiteres Vorgehen. Der Mann beginnt eine Reise durchs Land, er reist mit dem Zug, wo er wiederum eine Dame mit einer Streichholzschachtel trifft, kommt in ein geschlossenes Tanzlokal, wo er wiederum eine Streichholzschachtel bekommt, fährt ins spanische Hinterland, wo er wiederum eine Streichholzschachtel bekommt – diesmal von einem Mann – und infiltriert schließlich einen massiv gesicherten Betonbau mitten im Nomansland. Dort bringt er Bill Murry um; er fährt wieder in die Großstadt zurück, wirft die letzte Streichholzschachtel, die er bekommen hatte, am Flughafen in einen Mülleimer, zieht sich den blauen Anzug aus und tauscht ihn ein gegen Freizeitklamotten. Und das war's. Was möchte uns dieser Film sagen?

Die These zuerst: der Film ist ein radikales Kunstwerk, dass Bild- und Tonästhetik unserer Zeit auf die Spitze treibt, Hollywoodzuschauer und ihre Sehgewohnheiten persifliert, und nichts anderes propagiert als ein legitimes „leck-mich-am-arsch-business-und-bänker-welt-moi-je-suis-l'art, independent und schön, und das bedeutet alles, kuckt wie schön ich bin, und mehr möchte ich gar nicht sein“. Was soll das nun genauer heißen?

Kennzeichen postmoderner Kunst – Stilzitate und große Erzählungen

Vielleicht hilft es ein paar einleitende Beobachtungen zu machen: Der Film ist ein Spiel mit dem Zuschauer, er fordert seine Sehgewohnheiten heraus. Zum einen lässt er denjenigen Zuschauer stehen, der sich einen „normalen“ Film erwartet. Normal heißt in diesem Falle: einen Plot, eine Handlung, Tarzan sucht Jane, weil Jane von den bösen Affen entführt worden ist und rettet sie, und der Film ist gegessen. Na ja, vielleicht ist dieses Beispiel unfreiwillig gar nicht so weit weg von dem, was dieser Film hier darstellt. Wir werde sehen. Eine Parodie auf just diese Filme und einen Affront an Zuschauer, die eben einen solchen Film erwartet haben, aber nicht damit rechneten, dass Jim Jarmsch ihn ihnen lieferte?
Jim Jarmusch hat eine eigene Handschrift. Seine Filme waren noch nie den Erwartungen ihrer Zuschauer entgegenkommend. Weder von der Handlung her, noch von der Erzählgeschwindigkeit, noch von den Bildern. Aber ich schweife ab, also zurück. Der Film wirft den Zuschauer in ein offenes vollkommen diffuses Knäul unentwirrbarer und absolut sinnloser Handlungen. Warum Tai Chi? Warum die Damen? Warum die Nahaufnahmen im Museum? Warum ist der Typ immer so ernst? Wer ist er überhaupt? Und was soll der Blödsinn mit Bill Murray? Und wie ist der Typ in den Bunkerkomplex gekommen? Lauter offene Fragen, und – sie bleiben offen. Esseiden man kennt die Antwort.
Aber wiegesagt, eins nach dem andern. Was ist der Film denn nicht? Er ist nicht geschlossen. Wir wissen weder etwas über die Vorgeschichte der Charaktere, wir wissen nicht, welchen Auftrag, welche Mission der Schwarze hat, wir wissen nicht, warum die Streichholzschachteln überall in Spanien verteilt sind, obwohl das Etikett französisch ist...usw. Um es vorwegzunehmen: je eher man akzeptiert, dass der Film keine Handlung hat, desto weniger kommt man sich am Ende verarscht vor. So, das erstmal zur Handlung. Jetzt zur Form, keine Angst, wir holen die Handlung und ihren Sinn am Ende dieses Textes wieder ins Boot. Ich schieße mal vor, was ich mir während dem Film dachte.
Was muss man an Wissen vorschießen? Der Film ist ein postmodernes Kunstwerk. Postmodern heißt: er weiß, dass es schon Unmengen an Filmen vor ihm gab, und er akzeptiert das. Doch anstatt sich darüber aufzuregen, dass er – zumindest erfahreneren Filmschauern – Cineasten – nichts neues mehr erzählen kann: sie haben schon alles gesehen: Verfolgungsjagten, Schatzsuchen, Liebesabenteuer, Gangsterklamauke, Liebe, Tod, Eifersucht, etc...Jim Jarmusch weiß das, und möchte und kann da gar nichts Neues Erzählen. Bzw. das überlässt er anderen. Matrix war der letzte Film, meines Erachtens, der neue Maßstäbe gesetzt hatte. Memento ein anderer. Aber er zitiert Filme, die er respektiert, originell findet und gerne hat, an. Wenn jetzt die Frage kommt: wie kann man in Filmen anzitieren? Dann kommt die Antwort: genauso, wie in Büchern. Auch Filme sind in einer Sprache geschrieben, nur ist diese ein bisschen komplexer, weil sie nicht nur aus Buchstaben besteht, und Sätzen, sondern auch aus Kamerawinkeln, Musik, Gesten, einer bestimmten Art und Weise in Bildern zu erzählen, wie eine Frau ihr Haar aufschüttelt, ein Zugfahrmotiv, etc. Voilà, Motive, Bilder, Personenkonstellatione werden wieder aufgegriffen, anzitiert. Ist das schlimm? Das ist eine schwierige Frage. Jedenfalls ist das eine typische Entwicklung in unserer Zeit, der Postmoderne. Natürlich ist es schöner und kreativer, etwas Neues zu machen, aber angesichts der Tatsache, dass schon verdammt vieles da war, ist es nicht schlimm, etwas Neues zusammenzukollagieren. Und ist das, was entsteht, dann nicht auch etwas Neues? Oder wie der Meister selbst sagt:





Jim Jarmusch mixt mehreres zusammen.
Zum einen hat der Film einen Haufen Stilzitate. Er erinnert an:

  • Dead Man, von ihm selbst mit den zugehörigen Motiven: gutaussehender Mann geht von A nach B, ohne recht zu wissen, warum.
  • Lost in Translation: Einsamer Mensch liegt in großer Stadt im Hochhaus rum, und schaut sich fremde Kultur an, lässt sie schweigsam auf sich wirken. (vgl. Schwarzer Mann im Museum und Scarlett Johanson auf Stadterkundung)
  • David Lynch: Mullholan Drive: Jmd. begibt sich auf seltsame Reise, recherchiert vielleicht seine eigenen Identität, ist irgendetwas auf der Spur, führt absurde Dialoge, scheint an irgendwas verstörendem, ganz großen dranzuseien, die Kamera verfolgt den Hauptdarsteller, was wird er treffen, etc?
  • Waking Life: Unbescholtene Hauptfigur wird ohne, dass ein Zusammenhang sichtbar ist, mit Lebensansichten wildfremder Menschen konfrontiert. Ebenfalls ein Reisender.
  • Kill Bill? Absurde Handlung führt zu Rachefeldzug und Aktion.
  • Aronofskys „Pi“: abstruse Zahlen in den Streichholzschachteln – Ist er etwa dabei die Entzifferung der Welt durch Mathematik zu betreiben ?
  • Hitchcock: Der unsichtbare Dritte u.a.: ebenfalls: handelt es sich um eine Verschwörung? Aufdecken eines Falls unter Zeitdruck.

Also aus diesen sechs Filmen – bestimmt auch mehr, hat Jarmusch einen Film zusammengebastelt. Was den Stil betrifft. Und alle großen Themen, die „große“ Kunst behandeln muss, arbeitet er auch ab: Liebe, durch die Frau, die ihren Unerreichbaren nicht erreicht, Tod – am Ende liegt sie unter einem weißen Laken verhüllt – und das Leben – durch alles, was da so in dem Film passiert, fleucht und kreucht.
Was macht den Film so besonders?
Als Zuschauer fragt man sich WAS MACHT DER? Man wird unruhig, weil er nichts macht. Aber da ein Helikopter immer wieder auftaucht, der ihn zu beschatten, auf jeden Fall aber zu bedrohen, zu überwachen oder so scheint, und weil er eben doch soviel macht, dass er „nicht nichts“ tut, könnte er etwas tun, das einen Sinn zu haben scheint, eine Mission, der er unglaublich langsam nachgeht.
Ratter, Ratter: unser geschultes Hirn funktioniert, und versucht sich eine Geschichte zusammenzulegen: „Helikopter – das ist doch James Bond. Klar ist der Typ was besonderes, natürlich sucht er irgendwas oder wird gesucht“ denken wir uns in unserer angewöhnten Manier des „reconstructive memory's“. Wir suchen Patterns, Einzelteile, Geschichten, um uns eine zusammenhängende Geschichte mit einem Sinn erzählen zu können. Und jede vernünftige Geschichte hat ein Ziel. So funktioniert unser Gehirn. Aber noch einmal: der Film will nicht anders erzählen, außer sich selbst, oder doch nicht? Der Film verweigert eine Handlung. Und was er noch viel mehr verweigert ist eine rasante, spannende Handlung.

Betrachtung statt Handlung

Vielleicht ist der Film wie eine bezaubernde Frau in kostbarsten Kleidern: Er möchte betrachtet werden, ausgiebig und langwierig, weil er schön ist. Weil der Film scheinbar kein wirkliches Ziel hat, hat er auch keine Eile. Das Resultat: als Zuschauer man hat Zeit, (ihn) zu betrachten. Während der Film selbst auch seine Charaktere betrachtet. Hat man das durchschaut, betrachtet man auch die Bilder und wartet weniger auf die Handlung. Denn die ist sekundär. Eigentlich nur, um die Zuschauer zu verarschen, die keine Ahnung haben. Oder doch nicht? Man hat die Zeit, um sich Fragen zu stellen um klitzekleine Details, wie die eben gestellte Frage. Oder: Umspielt ein Lächeln die Lippen unsern gefühllosen Eisbrocken, der eigentlich einen vollkommenen starren Gesichtsausdruck hat, wenn die schöne Mietzekatze mit dem perfekten Körperbau sich in allerlei Arten sexueller Phantasien, die anzitiert werden, vor ihm räkelt? Man hat zum Beispiel Zeit den schönen Anzug anzuschauen. „Hey, der macht sich ja besonders gut vor dem Weiß der Hauswand – und der Rahmen der grünen Tür, der ist ja vollkommen geometrisch im Bildaufbau verankert – beinahe, wie ein Gemälde – und was ist denn das für ein schöner Pool auf dem Dach? Vollkommen nutzlos, aber irgendwie schön, vollkommener Luxus,...krass! Flamenco ist ein schöner Tanz! Und so, wie der singt, ist ja eigentlich erstmal voll falsch. Aber andererseits ist es viel schöner, wenn er so singt, als wenn da ein Pavarotti daherträllert, das ist wenigstens nicht so hochgestochen...das ist irgendwie.....authentisch.und Flamencogitarre war ja schon immer flashig! “usw.


Frühes Selbstzitat

Das Interessante an dem Film ist, dass er sich und seine Tricks selbst sogar recht früh preisgibt – in einer mise en abîme, einem Spiel im Spiel. Als das erste Mal die Frau in dem Kaffee zu dem Treffen kommt, mit den zwei Espressos, die Frau mit der Sonnenbrille und in weiß, mit dem fulminanten Auftritt zur harten Rockmusik – demaskiert sich der Film in dem Gespräch selbst. Die Frau sagt: sie liebt Filme (von Hitchcock). Gute Filme sind wie Träume, an die man sich nicht mehr erinnert, oder verschwommene Erinnerungen: sie schildert diesen einen Vogel, der an ihr vorbeifliegt und sie nimmt die ganze Schönheit dieser einmaligen Komposition fast schon überdeutlich wahr. Und sie fragt sich im Nachhinein: woher kommt das Bild im Kopf? Hat sie es wirklich gesehen? Oder in einem Film – weil es so schön war, als wäre es arrangiert gewesen – sie weiß es nicht mehr. Und ein Film, der solche Bilder liefere, sei ein guter Film. Sie lobt den Film dafür, wie er ganz banale Alltagsszenen verzaubern könne, als wären sie magisch, während die Kamera die beiden Espressotassen einfängt, die Komposition aus Weiß und Schwarz mit den goldenen Löffeln, und ein verzaubertes Bild einer Alltagsszene liefert. Außerdem ist ein bezauberndes glasklares, zerbrechliches Geräusch zu hören, wie Glasglöckchen, das so schön ist, dass es NICHT aus der Umwelt stammen kann, sondern eine Zutat des Filmemachers ist, um ein unvergessliches Bild zu kreieren, dass schöner ist, als die Realität – oder doch nicht? War da nicht ein Glasvorhang, durch den der Kellner gehen musste? Schon funktioniert der Film... Usw....geliefert wird also ein Bild im Bild. Und sie macht einen Abgang – aber was für einen. Wie man ihn schon gesehen hat? Vielleicht einmal? Mit einer kurzen Drehung, einem verspielten Blick zurück, quasi „den“ Abgang, um sich unsterblich zu machen. Wenn man den Film beschreiben wollen würde, was er oftmals macht, anstatt eine Handlung zu zeigen, so könnte man genau diesen kleinen Minimonolog der Frau einbauen, und – voilà – sie würde sich selbst erklären. Einmal auf der Leinwand, und einmal als Betrachter. Die Art und Weise, dass es darum geht Bilder zum Versinken und zum Eintauchen, wie in einem Rahmen zu liefern, gibt der Film übrigens preis durch das lange Anschauen von Bildern im Museum an.
Er zitiert sich auch auf eine andere Weise selbst: indem er ständig Motive wieder aufgreift und variiert. (Streichholzschachtel und Übergabe, nackte Frau, Tai Chi, auf dem Bett liegen und an die Decke starren, Ankommen, Verweilen, Weiterreisen). Aber wozu? Möchte der Film nur unvergessliche Bilder kreieren? Darin ist er, wenn man das mal beachtet, ganz schön radikal. Wie ein durchgängiger Trip. Kann etwas so schön sein? - ein ständiges Spiel zwischen Realismus – bis auf das Ende des Films passiert nichts Außergewöhnliches – und Gestaltung. Wieviele Bilder kommen noch? Bleiben sie alle auf gleichen Niveau? Das ist ein ganz schöner Trip, und dass der Film ein Trip sein soll, zeigt auch der Soundtrack: Absolut psychedelisch, wenn man mal dahintergekommen ist, dass der Film einem bewusst Bilder in den Kopf einbrennen möchte und eine Tortur für den Zuschauer sein kann. Ultimative brainfuck.

Beispiel für ein Fremdzitat – eine Homage an Hitchcock?

Jim Jarmuschs „Out of control“ zitiert nicht nur die Stile vieler bekannter anderer kunstvoller Filme an. Er zitiert Hitchcock auch direkt, nicht nur in seiner Motivverflechtung und seinem Flair der Bedrohung, der über allem liegt. Hitchkock wird auch direkt zitiert, und zwar zweimal. Einmal in dem Gespräch mit der Frau im Straßenlokal, in dem sie Hitchcock nennt. Und einmal über die Bildsprache, in der Zugfahrt. Die Szene einer Unterhaltung mit einer unbekannten, attraktiven Frau in einem Speisewagen, während eine schöne, karge Landschaft vorbeirauscht, hat Hitchcock in seinem Meisterwerk „North by Northwest“ („Der unsichtbare Dritte“) verewigt.
Hitchcock_North by Northwest-Szene


Es ist nicht das gleiche, aber es ist ähnlich. Indirekt wird Hitchcock vielleicht noch durch die Streichholzschachteln anzitiert, was geheimdienstartig ist. Denn auch North by North West geht um Geheiminformationen, geheime Treffen, Bespitzelung und dergleichen. Die Szene mit dem Helikopter, das Helikopterrauschen, ist vielleicht auch entfernt aus Hitchcocks North by Northwest entnommen. Was ist noch zu dem Film zu sagen? Die Wirkung.

Wirkung

Die Wirkung des Films rührt aus zwei Komponenten. Zum einen gibt es eine Spannung – für den normalen Zuschauer, weil er auf eine Auflösung der Spannung hofft, auf eine Klärung der Fragen. Dass der Film doch noch zum Tatort wird, und ob ein Mörder identifiziert wird. Diese Zuschauer haben den Film schon längst abgeschrieben, oder hat der Film diese Zuschauer schon längst abgeschrieben?
Für den erfahreneren Zuschauer, weil er sich fragt, ob Jarmusch das Muster, dass er betreten hat, irgendwann in dem Film auch wieder verlassen wird. Denn der Film zieht ein paar Prinzipien knallhart durch. Die Frage, die sich entwickelt ist die, ob er irgendwann aus seinem Raster bricht, ob neue Motive auftauchen, ob der Film z.B. auch noch in einen anderen Rhythmus fällt.
Wie wirkt der Film? Durch arrangierte Zufälle und aufgeladene Belanglosigkeiten. Jede Szene hat einen (vermeintlichen) doppelten Boden. Aber knackt man ihn? Alltägliche Situationen und alltägliche Orte werden verfremdet, als hätten sie einen tieferen, verborgenen Sinn. Ist der Sinn dieser Verfremdungseffekte, den Zuschauer zur Sinnproduktion anzuregen? Das wäre ja ein maßgebliches Kennzeichen postmoderner Kunst. Soll der Zuschauer den Film aufgrund seines postmodernen Wissens (z.B. von andern Filmen) entschlüsseln, oder dieses Wirkungsprinzip entdecken?
Für viele Zuschauer lieferte er wohl einfach nur Leerstellen, die der Film durch seine Langsamkeit und Handlungsverweigerung aufmacht, und die Frage ist, ob sie es irgendwie schaffen, die zu füllen. Vermutlich nicht. Schade, aber der Film braucht diese Zuschauer auch nicht, wie sich später zeigen wird.
Ansonsten bleibt eine Atmosphäre der Bedrohung, Verfolgung oder Beobachtung. Die Musik tut ihren Rest dazu diese aufzubauen. Die Rhythmen der Lieder und Bilder wechseln nur wenig, bevorzugt spielt der Film mit Entschleunigung (Bildgalerie, Tai Chi, etc.). Langsame Kameraschwünge und Breitaufnahmen. Langeweile und Spannung lösen sich beim Betrachten ab. Er spannt den Zuschauer auf die Folter. Was möchte er nur sagen?

Fazit: Das Filmende

So und jetzt die Auflösung: Bill Murray spielt sich selbst, wie wir ihn aus Jarmuschfilmen und sonst auch als „Bill Murray in Filmen“ kennen. Wieder ein Selbstzitat, diesmal eines Schauspielers, den wir aus anderen Jim Jarmusch Filmen kennen (Broken Flowers, aber auch aus dem anzitieren Lost in Translation, gerne auch Täglich grüßt das Murmeltier) und der damit assoziierten Figur. Meistens einer komischen, behäbigen, langsamen. In diesem Film wird dieses Klischee aber gebrochen. Der Film spielt damit. In „Out of Control“ (re)präsentiert er genau das Gegenteil seiner sonstigen Rollen: er hat Macht. Und er hasst die Kunst. In seinem kurzen Anklagemonolog an den Schwarzen steckt massiv gebündelt alles, was die Kunst sich über sich anhören muss. Frei übersetzt sagt er: „Ihr Künstler und ihr Kunstbetrachter, wir in der Welt, in der andere Kategorien gelten, als Tagträumereien und schöne Muster, Bilder und Kompositionen, wir verachten euch! Ihr habt keinen Sinn, ihr bringt kein Geld, ihr seid Weicheier, Tagträumer, Ästheten ohne Zweck, und psychisch krank seid ihr auch noch!“ boom. Knallharter Pragmatismus in der Logik eines überzeichneten Bänkers, oder Politikers oder (schlechten) Erziehers. Aber die Kunst lässt sich nicht schimpfen und trottet gehorsam ab. Im Gegenteil: Unser schwarzer Gorilla bringt den Bänker, die Krawattenratte, einfach um. Das ist eine bewusste Absage an die Welt ausserhalb der Kunst, mit all ihren Vorwürfen, die sie der Kunst entgegenbringt. So wie die Bänker die Künstler ignorieren und bis auf den Tod verachten, so kann die Kunst auch durchaus auf Nichtkünstler und ihre Kategorien, die symbolisch in dem Anzug und dem gestressten, akribisch geordneten Auftreten der Figur repräsentiert sind, verzichten. Aber weil die Kunst die Kunst ist, nimmt sie sich auch noch die Frechheit heraus, nicht einfach nur wieder unbelehrt abzuhauen. Nein, sie zeigt ihr volles Imaginationspotential, und spielt ein Spiel nach ihren eigenen Regeln. Denn wir befinden uns ja, indem wir einen Film schauen, in ihrem Reich, dem Reich der Imagination. Sie lässt der Phantasie - in diesem Fall der Mordphantasie am Nichtkünstler, dessen Auslöschung und dem Traum davon, dass es dann eine schönere Welt gebe - freien Lauf. Der Mord ist also zum einen eine geheime Mordphantasie der Kunst, zum andern ist er eine symbolische Absage an die Wissenschaft und andere Systeme. Kunst ist Kunst ist Kunst. Und die fordert sich über den Mord am Politikökonom ihren Platz ein. Was ist die Waffe der Kunst, was ist das, was der Businesswelt fehlt? die Imagination. „How did you come in?“ - „through imagination“. Kunst kann tödlich sein, die Bedrohung, die den ganzen Film über für Mister Blaumann durch den Helikopter präsent war1, über den jetzt erst ersichtlich wird, dass er die Kunst gezwungenermaßen verkörpern muss, wurde nun umgedreht.
Aber der Film geht noch weiter. Der ganze Film war ja eine Recherche. Darüber, was er eigentlich sein soll. Und ist das geklärt macht er auch noch eine zweite Aussage:
Kunst muss die Welt nicht erklären.
Der Film ging nicht nur darüber, was die Kunst ist, sondern Kunstwerken wurde auch lange der Anspruch zugetragen, die Welt zu erklären, sich mit der Welt zu beschäftigen. Aber das muss die Kunst nicht. Das tut sie auch nicht [und spätestens (post)moderne Kunst weiß auch: das kann sie nicht.] Sie beschäftigt sich lieber mit sich selbst, zeigt schöne Dinge. Und exakt diese Aussage ist in dem Bild verborgen, dass der Film kurz vor seinem Ende liefert: ein verhülltes Gemälde, an dem der Wind etwas rüttelt. Kunst hat nicht (mehr) den Anspruch die Welt zu erklären, deswegen bleibt das Gemälde verhüllt. Und – ein letztes Mal in dem Film: Kunst zeigt gerne schöne Bilder, und das Bild in dem das Bild als Bild mitwirkt ist durch seine Anordnung, durch die Farben im Raum und all das, schön, hochästhetisch. Und ist das nun erklärt, dankt der Film in einem Selbstabspann vor dem Abspann ab.
Die Mission ist erfüllt. Zum einen visualisiert sich das durch das Wegwerfen der Streichholzschachtel durch unsere Helden: die Recherche ist vorbei. Der Zuschauer weiß nun, was Kunst ist, und was sie möchte. Andererseits kann sich nun auch die Figur umziehen, die bis zu diesem Punkt im Film nur Verkörperung und einen Bildsklaven der Kunst darstellte, weil die Kunst eine paar Aussagen machen wollte.
  1. sie liefert schöne Bilder.
  2. sie ist autonom. (jetzt erklärt sich auch der Titel: Limits of control)
  3. sie erhebt gar nicht erst den Anspruch die Welt zu erklären). Die Figur legt ihre „Rolle“ ab und kehrt zurück in eine alltägliche, nahezu übertrieben unästhetische Kleidung, und („endlich“) in einen alltäglich präsentierten Ort.

Jetzt könnte man auch mit ihr Kaffeetrinken gehen. Wahrscheinlich ist der Typ ganz nett und – vielleicht spricht er sogar Spanisch.



Nachtrag_ Heterotopien

Ach so, und eh ichs ganz vergesse: Ohne den Heteropiebegriff geht’s fast nicht. Denn um meinen Geschichtsdozenten zu zitieren: Keine Geschichte findet ohne Raum statt, und das gilt auch für cineastische: „Heterotopien sind Orte, die die zu einer Zeit vorgegebenen Normen zum Teil nicht völlig durchgesetzt haben oder die nach eigenen Regeln funktionieren und somit die Möglichkeit der Reflexion und Problematisierung gegebener Normen ermöglichen und diesen bisweilen widersprechen.“ (Wikipedia)

Der Film ist ein Musterbeispiel einer Großheterotopie der Kunst, und wie sie sich in mehreren Kleinheterotopien immer wieder wirksam macht.


1Der im übrigen nur dann auftaucht, wenn Mister Blaumann mal wieder nichts tut. Nämlich z.B. auf dem Bett liegt, im Kaffee wartet und die Welt betrachtet.

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