Jim Jarmusch: Limits of Control
(2009): eine Recherche der Kunst für den Zuschauer.
Was will uns dieser Film sagen?
Der Plot
Ein gutaussehender schwarzer Mann im
blauen Anzug hält sich in einer spanischen Großstadt auf. Er
befindet sich in einem Appartement, verbringt viel Zeit damit auf dem
Bett zu liegen und die Decke anzustarren, geht ins Museum und
betrachtet Bilder, macht Tai Chi und verwirrt eine schwarzhaarige
Schönheit, die sich Mal für Mal, wenn er nachhause kommt, in einer
anderen aufreizenden Art um seine Aufmerksamkeit bemüht.
Schließlich kommt Bewegung in den
Film, als unser besagter Mann von einer Dame eine
Streichholzschachtel der Marke „le boxeur“ bekommt, mit einem
Hinweis auf ein weiteres Vorgehen. Der Mann beginnt eine Reise durchs
Land, er reist mit dem Zug, wo er wiederum eine Dame mit einer
Streichholzschachtel trifft, kommt in ein geschlossenes Tanzlokal, wo
er wiederum eine Streichholzschachtel bekommt, fährt ins spanische
Hinterland, wo er wiederum eine Streichholzschachtel bekommt –
diesmal von einem Mann – und infiltriert schließlich einen massiv
gesicherten Betonbau mitten im Nomansland. Dort bringt er Bill Murry
um; er fährt wieder in die Großstadt zurück, wirft die letzte
Streichholzschachtel, die er bekommen hatte, am Flughafen in einen
Mülleimer, zieht sich den blauen Anzug aus und tauscht ihn ein gegen
Freizeitklamotten. Und das war's. Was möchte uns dieser Film sagen?
Die These zuerst: der Film ist ein
radikales Kunstwerk, dass Bild- und Tonästhetik unserer Zeit auf die
Spitze treibt, Hollywoodzuschauer und ihre Sehgewohnheiten
persifliert, und nichts anderes propagiert als ein legitimes
„leck-mich-am-arsch-business-und-bänker-welt-moi-je-suis-l'art,
independent und schön, und das bedeutet alles, kuckt wie schön ich
bin, und mehr möchte ich gar nicht sein“. Was soll das nun genauer
heißen?
Kennzeichen postmoderner Kunst –
Stilzitate und große Erzählungen
Vielleicht hilft es ein paar
einleitende Beobachtungen zu machen: Der Film ist ein Spiel mit dem
Zuschauer, er fordert seine Sehgewohnheiten heraus. Zum einen lässt
er denjenigen Zuschauer stehen, der sich einen „normalen“ Film
erwartet. Normal heißt in diesem Falle: einen Plot, eine Handlung,
Tarzan sucht Jane, weil Jane von den bösen Affen entführt worden
ist und rettet sie, und der Film ist gegessen. Na ja, vielleicht ist
dieses Beispiel unfreiwillig gar nicht so weit weg von dem, was
dieser Film hier darstellt. Wir werde sehen. Eine Parodie auf just
diese Filme und einen Affront an Zuschauer, die eben einen solchen
Film erwartet haben, aber nicht damit rechneten, dass Jim Jarmsch ihn
ihnen lieferte?
Jim Jarmusch hat eine eigene
Handschrift. Seine Filme waren noch nie den Erwartungen ihrer
Zuschauer entgegenkommend. Weder von der Handlung her, noch von der
Erzählgeschwindigkeit, noch von den Bildern. Aber ich schweife ab,
also zurück. Der Film wirft den Zuschauer in ein offenes vollkommen
diffuses Knäul unentwirrbarer und absolut sinnloser Handlungen.
Warum Tai Chi? Warum die Damen? Warum die Nahaufnahmen im Museum?
Warum ist der Typ immer so ernst? Wer ist er überhaupt? Und was soll
der Blödsinn mit Bill Murray? Und wie ist der Typ in den
Bunkerkomplex gekommen? Lauter offene Fragen, und – sie bleiben
offen. Esseiden man kennt die Antwort.
Aber wiegesagt, eins nach dem andern.
Was ist der Film denn nicht? Er ist nicht geschlossen. Wir wissen
weder etwas über die Vorgeschichte der Charaktere, wir wissen nicht,
welchen Auftrag, welche Mission der Schwarze hat, wir wissen nicht,
warum die Streichholzschachteln überall in Spanien verteilt sind,
obwohl das Etikett französisch ist...usw. Um es vorwegzunehmen: je
eher man akzeptiert, dass der Film keine Handlung hat, desto weniger
kommt man sich am Ende verarscht vor. So, das erstmal zur Handlung.
Jetzt zur Form, keine Angst, wir holen die Handlung und ihren Sinn am
Ende dieses Textes wieder ins Boot. Ich schieße mal vor, was ich mir
während dem Film dachte.
Was muss man an Wissen vorschießen?
Der Film ist ein postmodernes Kunstwerk. Postmodern heißt: er weiß,
dass es schon Unmengen an Filmen vor ihm gab, und er akzeptiert das.
Doch anstatt sich darüber aufzuregen, dass er – zumindest
erfahreneren Filmschauern – Cineasten – nichts neues mehr
erzählen kann: sie haben schon alles gesehen: Verfolgungsjagten,
Schatzsuchen, Liebesabenteuer, Gangsterklamauke, Liebe, Tod,
Eifersucht, etc...Jim Jarmusch weiß das, und möchte und kann da
gar nichts Neues Erzählen. Bzw. das überlässt er anderen. Matrix
war der letzte Film, meines Erachtens, der neue Maßstäbe gesetzt
hatte. Memento ein anderer. Aber er zitiert Filme, die er
respektiert, originell findet und gerne hat, an. Wenn jetzt die Frage
kommt: wie kann man in Filmen anzitieren? Dann kommt die Antwort:
genauso, wie in Büchern. Auch Filme sind in einer Sprache
geschrieben, nur ist diese ein bisschen komplexer, weil sie nicht nur
aus Buchstaben besteht, und Sätzen, sondern auch aus Kamerawinkeln,
Musik, Gesten, einer bestimmten Art und Weise in Bildern zu erzählen,
wie eine Frau ihr Haar aufschüttelt, ein Zugfahrmotiv, etc. Voilà,
Motive, Bilder, Personenkonstellatione werden wieder aufgegriffen,
anzitiert. Ist das schlimm? Das ist eine schwierige Frage. Jedenfalls
ist das eine typische Entwicklung in unserer Zeit, der Postmoderne.
Natürlich ist es schöner und kreativer, etwas Neues zu machen, aber
angesichts der Tatsache, dass schon verdammt vieles da war, ist es
nicht schlimm, etwas Neues zusammenzukollagieren. Und ist das, was
entsteht, dann nicht auch etwas Neues? Oder wie der Meister selbst
sagt:
Jim Jarmusch mixt mehreres zusammen.
Zum einen hat der Film einen Haufen
Stilzitate. Er erinnert an:
- Dead Man, von ihm selbst mit den zugehörigen Motiven: gutaussehender Mann geht von A nach B, ohne recht zu wissen, warum.
- Lost in Translation: Einsamer Mensch liegt in großer Stadt im Hochhaus rum, und schaut sich fremde Kultur an, lässt sie schweigsam auf sich wirken. (vgl. Schwarzer Mann im Museum und Scarlett Johanson auf Stadterkundung)
- David Lynch: Mullholan Drive: Jmd. begibt sich auf seltsame Reise, recherchiert vielleicht seine eigenen Identität, ist irgendetwas auf der Spur, führt absurde Dialoge, scheint an irgendwas verstörendem, ganz großen dranzuseien, die Kamera verfolgt den Hauptdarsteller, was wird er treffen, etc?
- Waking Life: Unbescholtene Hauptfigur wird ohne, dass ein Zusammenhang sichtbar ist, mit Lebensansichten wildfremder Menschen konfrontiert. Ebenfalls ein Reisender.
- Kill Bill? Absurde Handlung führt zu Rachefeldzug und Aktion.
- Aronofskys „Pi“: abstruse Zahlen in den Streichholzschachteln – Ist er etwa dabei die Entzifferung der Welt durch Mathematik zu betreiben ?
- Hitchcock: Der unsichtbare Dritte u.a.: ebenfalls: handelt es sich um eine Verschwörung? Aufdecken eines Falls unter Zeitdruck.
Also aus diesen sechs Filmen –
bestimmt auch mehr, hat Jarmusch einen Film zusammengebastelt. Was
den Stil betrifft. Und alle großen Themen, die „große“ Kunst
behandeln muss, arbeitet er auch ab: Liebe, durch die Frau, die ihren
Unerreichbaren nicht erreicht, Tod – am Ende liegt sie unter einem
weißen Laken verhüllt – und das Leben – durch alles, was da so
in dem Film passiert, fleucht und kreucht.
Was macht den Film so besonders?
Als Zuschauer fragt man sich WAS MACHT
DER? Man wird unruhig, weil er nichts macht. Aber da ein Helikopter
immer wieder auftaucht, der ihn zu beschatten, auf jeden Fall aber zu
bedrohen, zu überwachen oder so scheint, und weil er eben doch
soviel macht, dass er „nicht nichts“ tut, könnte er etwas tun,
das einen Sinn zu haben scheint, eine Mission, der er unglaublich
langsam nachgeht.
Ratter, Ratter: unser geschultes Hirn
funktioniert, und versucht sich eine Geschichte zusammenzulegen:
„Helikopter – das ist doch James Bond. Klar ist der Typ was
besonderes, natürlich sucht er irgendwas oder wird gesucht“ denken
wir uns in unserer angewöhnten Manier des „reconstructive
memory's“. Wir suchen Patterns, Einzelteile, Geschichten, um uns
eine zusammenhängende Geschichte mit einem Sinn erzählen zu können.
Und jede vernünftige Geschichte hat ein Ziel. So funktioniert unser
Gehirn. Aber noch einmal: der Film will nicht anders erzählen, außer
sich selbst, oder doch nicht? Der Film verweigert eine Handlung. Und
was er noch viel mehr verweigert ist eine rasante, spannende
Handlung.
Betrachtung statt Handlung
Vielleicht ist der Film wie eine
bezaubernde Frau in kostbarsten Kleidern: Er möchte betrachtet
werden, ausgiebig und langwierig, weil er schön ist. Weil der Film
scheinbar kein wirkliches Ziel hat, hat er auch keine Eile. Das
Resultat: als Zuschauer man hat Zeit, (ihn) zu betrachten. Während
der Film selbst auch seine Charaktere betrachtet. Hat man das
durchschaut, betrachtet man auch die Bilder und wartet weniger auf
die Handlung. Denn die ist sekundär. Eigentlich nur, um die
Zuschauer zu verarschen, die keine Ahnung haben. Oder doch nicht?
Man hat die Zeit, um sich Fragen zu stellen um klitzekleine Details,
wie die eben gestellte Frage. Oder: Umspielt ein Lächeln die Lippen
unsern gefühllosen Eisbrocken, der eigentlich einen vollkommenen
starren Gesichtsausdruck hat, wenn die schöne Mietzekatze mit dem
perfekten Körperbau sich in allerlei Arten sexueller Phantasien, die
anzitiert werden, vor ihm räkelt? Man hat zum Beispiel Zeit den
schönen Anzug anzuschauen. „Hey, der macht sich ja besonders gut
vor dem Weiß der Hauswand – und der Rahmen der grünen Tür, der
ist ja vollkommen geometrisch im Bildaufbau verankert – beinahe,
wie ein Gemälde – und was ist denn das für ein schöner Pool auf
dem Dach? Vollkommen nutzlos, aber irgendwie schön, vollkommener
Luxus,...krass! Flamenco ist ein schöner Tanz! Und so, wie der
singt, ist ja eigentlich erstmal voll falsch. Aber andererseits ist
es viel schöner, wenn er so singt, als wenn da ein Pavarotti
daherträllert, das ist wenigstens nicht so hochgestochen...das ist
irgendwie.....authentisch.und Flamencogitarre war ja schon immer
flashig! “usw.
Frühes Selbstzitat
Das Interessante an dem Film ist, dass
er sich und seine Tricks selbst sogar recht früh preisgibt – in
einer mise en abîme, einem Spiel im Spiel. Als das erste Mal die
Frau in dem Kaffee zu dem Treffen kommt, mit den zwei Espressos, die
Frau mit der Sonnenbrille und in weiß, mit dem fulminanten Auftritt
zur harten Rockmusik – demaskiert sich der Film in dem Gespräch
selbst. Die Frau sagt: sie liebt Filme (von Hitchcock). Gute Filme
sind wie Träume, an die man sich nicht mehr erinnert, oder
verschwommene Erinnerungen: sie schildert diesen einen Vogel, der an
ihr vorbeifliegt und sie nimmt die ganze Schönheit dieser einmaligen
Komposition fast schon überdeutlich wahr. Und sie fragt sich im
Nachhinein: woher kommt das Bild im Kopf? Hat sie es wirklich
gesehen? Oder in einem Film – weil es so schön war, als wäre es
arrangiert gewesen – sie weiß es nicht mehr. Und ein Film, der
solche Bilder liefere, sei ein guter Film. Sie lobt den Film dafür,
wie er ganz banale Alltagsszenen verzaubern könne, als wären sie
magisch, während die Kamera die beiden Espressotassen einfängt, die
Komposition aus Weiß und Schwarz mit den goldenen Löffeln, und ein
verzaubertes Bild einer Alltagsszene liefert. Außerdem ist ein
bezauberndes glasklares, zerbrechliches Geräusch zu hören, wie
Glasglöckchen, das so schön ist, dass es NICHT aus der Umwelt
stammen kann, sondern eine Zutat des Filmemachers ist, um ein
unvergessliches Bild zu kreieren, dass schöner ist, als die Realität
– oder doch nicht? War da nicht ein Glasvorhang, durch den der
Kellner gehen musste? Schon funktioniert der Film... Usw....geliefert
wird also ein Bild im Bild. Und sie macht einen Abgang – aber was
für einen. Wie man ihn schon gesehen hat? Vielleicht einmal? Mit
einer kurzen Drehung, einem verspielten Blick zurück, quasi „den“
Abgang, um sich unsterblich zu machen. Wenn man den Film beschreiben
wollen würde, was er oftmals macht, anstatt eine Handlung zu zeigen,
so könnte man genau diesen kleinen Minimonolog der Frau einbauen,
und – voilà – sie würde sich selbst erklären. Einmal auf der
Leinwand, und einmal als Betrachter. Die Art und Weise, dass es darum
geht Bilder zum Versinken und zum Eintauchen, wie in einem Rahmen zu
liefern, gibt der Film übrigens preis durch das lange Anschauen
von Bildern im Museum an.
Er zitiert sich auch auf eine andere
Weise selbst: indem er ständig Motive wieder aufgreift und variiert.
(Streichholzschachtel und Übergabe, nackte Frau, Tai Chi, auf dem
Bett liegen und an die Decke starren, Ankommen, Verweilen,
Weiterreisen). Aber wozu? Möchte der Film nur unvergessliche Bilder
kreieren? Darin ist er, wenn man das mal beachtet, ganz schön
radikal. Wie ein durchgängiger Trip. Kann etwas so schön sein? -
ein ständiges Spiel zwischen Realismus – bis auf das Ende des
Films passiert nichts Außergewöhnliches – und Gestaltung.
Wieviele Bilder kommen noch? Bleiben sie alle auf gleichen Niveau?
Das ist ein ganz schöner Trip, und dass der Film ein Trip sein soll,
zeigt auch der Soundtrack: Absolut psychedelisch, wenn man mal
dahintergekommen ist, dass der Film einem bewusst Bilder in den Kopf
einbrennen möchte und eine Tortur für den Zuschauer sein kann.
Ultimative brainfuck.
Beispiel für ein Fremdzitat –
eine Homage an Hitchcock?
Jim Jarmuschs „Out of control“
zitiert nicht nur die Stile vieler bekannter anderer kunstvoller
Filme an. Er zitiert Hitchcock auch direkt, nicht nur in seiner
Motivverflechtung und seinem Flair der Bedrohung, der über allem
liegt. Hitchkock wird auch direkt zitiert, und zwar zweimal. Einmal
in dem Gespräch mit der Frau im Straßenlokal, in dem sie Hitchcock
nennt. Und einmal über die Bildsprache, in der Zugfahrt. Die Szene
einer Unterhaltung mit einer unbekannten, attraktiven Frau in einem
Speisewagen, während eine schöne, karge Landschaft vorbeirauscht,
hat Hitchcock in seinem Meisterwerk „North by Northwest“ („Der
unsichtbare Dritte“) verewigt.
Hitchcock_North by Northwest-Szene |
Es ist nicht das gleiche, aber es ist
ähnlich. Indirekt wird Hitchcock vielleicht noch durch die
Streichholzschachteln anzitiert, was geheimdienstartig ist. Denn auch
North by North West geht um Geheiminformationen, geheime Treffen,
Bespitzelung und dergleichen. Die Szene mit dem Helikopter, das
Helikopterrauschen, ist vielleicht auch entfernt aus Hitchcocks North
by Northwest entnommen. Was ist noch zu dem Film zu sagen? Die
Wirkung.
Wirkung
Die Wirkung des Films rührt aus zwei
Komponenten. Zum einen gibt es eine Spannung – für den normalen
Zuschauer, weil er auf eine Auflösung der Spannung hofft, auf eine
Klärung der Fragen. Dass der Film doch noch zum Tatort wird, und ob
ein Mörder identifiziert wird. Diese Zuschauer haben den Film schon
längst abgeschrieben, oder hat der Film diese Zuschauer schon längst
abgeschrieben?
Für den erfahreneren Zuschauer, weil
er sich fragt, ob Jarmusch das Muster, dass er betreten hat,
irgendwann in dem Film auch wieder verlassen wird. Denn der Film
zieht ein paar Prinzipien knallhart durch. Die Frage, die sich
entwickelt ist die, ob er irgendwann aus seinem Raster bricht, ob
neue Motive auftauchen, ob der Film z.B. auch noch in einen anderen
Rhythmus fällt.
Wie wirkt der Film? Durch arrangierte
Zufälle und aufgeladene Belanglosigkeiten. Jede Szene hat einen
(vermeintlichen) doppelten Boden. Aber knackt man ihn? Alltägliche
Situationen und alltägliche Orte werden verfremdet, als hätten sie
einen tieferen, verborgenen Sinn. Ist der Sinn dieser
Verfremdungseffekte, den Zuschauer zur Sinnproduktion anzuregen? Das
wäre ja ein maßgebliches Kennzeichen postmoderner Kunst. Soll der
Zuschauer den Film aufgrund seines postmodernen Wissens (z.B. von
andern Filmen) entschlüsseln, oder dieses Wirkungsprinzip entdecken?
Für viele Zuschauer lieferte er wohl
einfach nur Leerstellen, die der Film durch seine Langsamkeit und
Handlungsverweigerung aufmacht, und die Frage ist, ob sie es
irgendwie schaffen, die zu füllen. Vermutlich nicht. Schade, aber
der Film braucht diese Zuschauer auch nicht, wie sich später zeigen
wird.
Ansonsten bleibt eine Atmosphäre der
Bedrohung, Verfolgung oder Beobachtung. Die Musik tut ihren Rest dazu
diese aufzubauen. Die Rhythmen der Lieder und Bilder wechseln nur
wenig, bevorzugt spielt der Film mit Entschleunigung (Bildgalerie,
Tai Chi, etc.). Langsame Kameraschwünge und Breitaufnahmen.
Langeweile und Spannung lösen sich beim Betrachten ab. Er spannt den
Zuschauer auf die Folter. Was möchte er nur sagen?
Fazit: Das Filmende
So und jetzt die Auflösung: Bill
Murray spielt sich selbst, wie wir ihn aus Jarmuschfilmen und sonst
auch als „Bill Murray in Filmen“ kennen. Wieder ein Selbstzitat,
diesmal eines Schauspielers, den wir aus anderen Jim Jarmusch Filmen
kennen (Broken Flowers, aber auch aus dem anzitieren Lost in
Translation, gerne auch Täglich grüßt das Murmeltier) und der
damit assoziierten Figur. Meistens einer komischen, behäbigen,
langsamen. In diesem Film wird dieses Klischee aber gebrochen. Der
Film spielt damit. In „Out of Control“ (re)präsentiert er genau
das Gegenteil seiner sonstigen Rollen: er hat Macht. Und er hasst die
Kunst. In seinem kurzen Anklagemonolog an den Schwarzen steckt massiv
gebündelt alles, was die Kunst sich über sich anhören muss. Frei
übersetzt sagt er: „Ihr Künstler und ihr Kunstbetrachter, wir in
der Welt, in der andere Kategorien gelten, als Tagträumereien und
schöne Muster, Bilder und Kompositionen, wir verachten euch! Ihr
habt keinen Sinn, ihr bringt kein Geld, ihr seid Weicheier,
Tagträumer, Ästheten ohne Zweck, und psychisch krank seid ihr auch
noch!“ boom. Knallharter Pragmatismus in der Logik eines
überzeichneten Bänkers, oder Politikers oder (schlechten)
Erziehers. Aber die Kunst lässt sich nicht schimpfen und trottet
gehorsam ab. Im Gegenteil: Unser schwarzer Gorilla bringt den Bänker,
die Krawattenratte, einfach um. Das ist eine bewusste Absage an die
Welt ausserhalb der Kunst, mit all ihren Vorwürfen, die sie der
Kunst entgegenbringt. So wie die Bänker die Künstler ignorieren und
bis auf den Tod verachten, so kann die Kunst auch durchaus auf
Nichtkünstler und ihre Kategorien, die symbolisch in dem Anzug und
dem gestressten, akribisch geordneten Auftreten der Figur
repräsentiert sind, verzichten. Aber weil die Kunst die Kunst ist,
nimmt sie sich auch noch die Frechheit heraus, nicht einfach nur
wieder unbelehrt abzuhauen. Nein, sie zeigt ihr volles
Imaginationspotential, und spielt ein Spiel nach ihren eigenen
Regeln. Denn wir befinden uns ja, indem wir einen Film schauen, in
ihrem Reich, dem Reich der Imagination. Sie lässt der Phantasie -
in diesem Fall der Mordphantasie am Nichtkünstler, dessen
Auslöschung und dem Traum davon, dass es dann eine schönere Welt
gebe - freien Lauf. Der Mord ist also zum einen eine geheime
Mordphantasie der Kunst, zum andern ist er eine symbolische Absage an
die Wissenschaft und andere Systeme. Kunst ist Kunst ist Kunst. Und
die fordert sich über den Mord am Politikökonom ihren Platz ein.
Was ist die Waffe der Kunst, was ist das, was der Businesswelt fehlt?
die Imagination. „How did you come in?“ - „through
imagination“. Kunst kann tödlich sein, die Bedrohung, die den
ganzen Film über für Mister Blaumann durch den Helikopter präsent
war1,
über den jetzt erst ersichtlich wird, dass er die Kunst
gezwungenermaßen verkörpern muss, wurde nun umgedreht.
Aber der Film geht noch weiter. Der
ganze Film war ja eine Recherche. Darüber, was er eigentlich sein
soll. Und ist das geklärt macht er auch noch eine zweite Aussage:
Kunst muss die Welt nicht erklären.
Der Film ging nicht nur darüber, was
die Kunst ist, sondern Kunstwerken wurde auch lange der Anspruch
zugetragen, die Welt zu erklären, sich mit der Welt zu beschäftigen.
Aber das muss die Kunst nicht. Das tut sie auch nicht [und spätestens
(post)moderne Kunst weiß auch: das kann sie nicht.] Sie beschäftigt
sich lieber mit sich selbst, zeigt schöne Dinge. Und exakt diese
Aussage ist in dem Bild verborgen, dass der Film kurz vor seinem Ende
liefert: ein verhülltes Gemälde, an dem der Wind etwas rüttelt.
Kunst hat nicht (mehr) den Anspruch die Welt zu erklären, deswegen
bleibt das Gemälde verhüllt. Und – ein letztes Mal in dem Film:
Kunst zeigt gerne schöne Bilder, und das Bild in dem das Bild als
Bild mitwirkt ist durch seine Anordnung, durch die Farben im Raum und
all das, schön, hochästhetisch. Und ist das nun erklärt, dankt der
Film in einem Selbstabspann vor dem Abspann ab.
Die Mission ist erfüllt. Zum einen
visualisiert sich das durch das Wegwerfen der Streichholzschachtel
durch unsere Helden: die Recherche ist vorbei. Der Zuschauer weiß
nun, was Kunst ist, und was sie möchte. Andererseits kann sich nun
auch die Figur umziehen, die bis zu diesem Punkt im Film nur
Verkörperung und einen Bildsklaven der Kunst darstellte, weil die
Kunst eine paar Aussagen machen wollte.
- sie liefert schöne Bilder.
- sie ist autonom. (jetzt erklärt sich auch der Titel: Limits of control)
- sie erhebt gar nicht erst den Anspruch die Welt zu erklären). Die Figur legt ihre „Rolle“ ab und kehrt zurück in eine alltägliche, nahezu übertrieben unästhetische Kleidung, und („endlich“) in einen alltäglich präsentierten Ort.
Jetzt könnte man auch mit ihr
Kaffeetrinken gehen. Wahrscheinlich ist der Typ ganz nett und –
vielleicht spricht er sogar Spanisch.
Nachtrag_ Heterotopien
Ach so, und eh ichs ganz vergesse: Ohne
den Heteropiebegriff geht’s fast nicht. Denn um meinen
Geschichtsdozenten zu zitieren: Keine Geschichte findet ohne Raum
statt, und das gilt auch für cineastische: „Heterotopien sind
Orte, die die zu einer Zeit vorgegebenen Normen zum Teil nicht völlig
durchgesetzt haben oder die nach eigenen Regeln funktionieren und
somit die Möglichkeit der Reflexion und Problematisierung gegebener
Normen ermöglichen und diesen bisweilen widersprechen.“
(Wikipedia)
Der Film ist ein Musterbeispiel einer
Großheterotopie der Kunst, und wie sie sich in mehreren
Kleinheterotopien immer wieder wirksam macht.
1Der
im übrigen nur dann auftaucht, wenn Mister Blaumann mal wieder
nichts tut. Nämlich z.B. auf dem Bett liegt, im Kaffee wartet und
die Welt betrachtet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen