Samstag, 7. Januar 2012

Réné Magritte 

Magritte, geboren 1898. Frühtalentiert schlägt er sich durch als Werbe- und Postkartenmaler. Er heiratet seine Frau Georgette 1922. Schon mit 23 Jahren, also 1921, malt er Bilder wie Baigneuses. Seine Werke sind simpel und doch einzigartig, eine noch nie dagewesene Verbindung von Simplifikation und Abstraktion in einem. Die Formen, in die er seine drei Bademädchen in diesem  Gemälde zwingt, sind Kugel, Kegel, Licht und Schatten an den richtigen, wichtigen Stellen und gut gesetzte Striche. Außerdem herrscht in seinem Bild Kalkül und Strenge vor.
Er bekommt bald erste Aufmerksamkeit durch Kritiken über seine Werke und daran anbindend Ausstellungsmöglichkeiten. Er schließt sich mit anderen zusammen, schreibt programmatische und anklagende Texte, die das Weiterführen der alten Traditionen mit Entschiedenheit ablehnen, während er gleichzeitig, ohne es zu ahnen, die Grundsteine für sein eigenes magrittsches Kunstuniversum legt. Auffällig kalt sind alle Gebilde in diesem Universum, die Gegenstände, die durcheinandergewürfelt werden. Und sie stellen das Abgebildete mit einer außergewöhnlichen Radikalität in Frage. Einen guten Wegweiser durch sein Werk mag jenes Selbstzitat sein, das erklärt, warum man sich so seltsam kühl berührt fühlt, wenn man seinen Bildern verfällt:
„Tout ce univers mysterieux est froid. Je ne ressens pas de chaleur dans le vide de l'au-délà. D'ailleures, c'est l'insensible qui j'essaie de transformer en matière. Et cet insensible ne peut pas être que froid.“
 ("Dieses gesamte mysteriöse Universum ist kalt. Ich fühle keine Wärme in der Leere des Jenseits. Außerdem versuche ich das Gefühlslose in eine Matiere zu transformieren. Und dieses Gefühlslose kann nicht anders als kalt sein.")
Magritte defiguriert, entfremdet, bezweifelt und gleichzeitig ist er doch ganz klar.
Es reicht ihm nicht aus, das nur Sichtbare Wiederzugeben. "Surrealist zu sein heißt, den Geiste des „Bereits-Gesehenen“ zu verbannen und das „Noch-Nicht-Gesehen“ zu suchen, schrieb er einmal. Protest, Progression und Programm fließen in diesem Satz zusammen. Oder im französischen Original:

Etre surrealiste, c'est bannir l'esprit de le „deja vu“ et rechercher le „pas encore vu“. 

Die surreale Kälte in seinem Werk scheint auch auf seine Lektüre rückführbar zu sein. Als Heranwachsender las er zum Beispiel begierig Werke Edgar Allan Poes. Über sich selbst schreibt er später einmal, dass er subversiven Humor liebe.
Magritte beteiligt sich auch an diversen Gruppenveröffentlichungen. Er ist selbst Mitglied des Künstlerkollektivs group 7 arts, arbeitet mit an Meinungen und Pamphleten, schreibt über Farben, illustriert Theaterplakate für Freunde und Bekannte. Das heißt, auch er kann als eines der Universalgenies dieser Epoche bezeichnet werden, in der die verschiedenen Künste noch so nahe beieinander waren und so eng miteinander verknüpft.

Magrittes Frühwerk 

Was Magritte für den Betrachter wirklich ausmacht sind seine schwerfälligen, sinntropfenden Gemälde. Zum Beispiel La Valeuse oder L'Homme du Large oder Les Muscles célestraises, L'esprit du CommédienLe marriage du Minuit, Le Song du Monde oder Paysage. All diese Kunstwerke sind im obersten Stockwerk der Magrittausstellung im Magrittmuseum in Brüssel zu sehen.
Man kommt in einen Fahrstuhl und wird bis ganz nach oben gefahren, wo man schließlich der magrittschen Bilderwelt ausgesetzt wird.
Gut und gerne kann man mehrere Stunden mit diesen Bildern verbringen. Schön herausgearbeitet ist, wie Magritte immer einen Schritt weitergeht in seiner Entwicklung. Wie er vom Werbemaler zum Surrealisten wird, wie er seine Formen und seinen Stil findet, wie er beides immer wieder neu kombiniert und schließlich auch langsam an die Sprache herankommt. Wenn er später der Verwirrungskünstler par exellence werden wird, indem er Zeichen und Bezeichnetes surreal auseinanderreisst und die Gehirnverbindungen in ihrer Festgefahrenheit schonungslos aber immer mit einer Spur subversiven Humors entlarvt, entdeckt Magritte zum Ende dieses Ausstellungsraums hin vor allem erst einmal die Wirkung der Titelgebung auf den Betrachter.
Auf einige der im obersten Stockwerk des Brüsseler Kunstmuseums ausgestellten Werke möchte ich nun näher eingehen. Es ist klar, dass sie auf dem Bildschirm ganz anders wirken, als im Original an der Wand.


Beschreibung einiger Gemälde

Réné Magritte les muscles celestaires

Technisch brillant gelöste Verbindung von Idee, Form und Inhalt. Ein dunkler grauer, wolkenverhangener Regenhimmel schiebt sich in ein Stück Parkettboden in einem Niemandsland, einer Ödland-Landschaft, die nur durch eine schwarze Umrahmung angedeutet ist
Ein Faszinosum an Magrittes Stil ist auch seine Exaktheit. Er arbeitet gestochen scharf: die Schnitte wo die Himmelsformen auf dem Parkett eindringen, sind wie mit dem Seziermesser gemacht, und wirken doch noch viel schärfer. Natürlich denkt man sich heute: Und das alles ohne Photoshop. Besser wäre es vielleicht zu erkennen, dass das alles vor Photoshop so existierte. Magritte und die andern Surrealisten entwickelten erst, was jedem heute so vertraut zu sein scheint: das Arbeiten mit verschiedenen Ebenen.
Unerlaubt ist das Eindringen einer kugeligen Himmelsform auf einen Parkettboden. Handelt es sich hier um eine Landnahme? Aus dem konturlosen Himmel entsteht auch eine Figur auf der Bühne, die sogar einen Schatten wirft. Aber was macht sie da? Ist es ein Muskelspiel der unendlichen abstrakten Form des Himmels gegenüber der konkreten, begrenzten und vom Menschen geschaffenen Form des Parketts?

Une panique au moyen age

a panic in the middle age
Das Gemälde erinnert in seiner Konzeption an Xavier le Roys self unfinished. Kopflose Gestalten, die ineinanderwachsen. Eine der ihrigen ist gerade im Begriff die Arme entsetzt nach oben zu werfen. Eine theatralische Geste, die man schon gesehen hat. Aber völlig unerwartet scheitert das Auge immer wieder daran, dass der Gestalt der Kopf fehlt. Wenn man sich der Betrachtung hingibt, kann man in das Erlebnis einer perpetuellen Wiederholung des Vorführens und Vorgeführtwerdens der eigenen Wahrnehmung hineingezogen werden. Unsere Wahrnehmung sucht uns bekannte Formen. Gerade Personen, Gesichter oder Körper nehmen wir rasend schnell war, wir sehen sie sogar teilweise dort, wo gar keine sind (z.B. das "Marsgesicht"). Dieser Eigenschaft, einen normalen Körper auf dem Gemälde sehen zu wollen, macht sich Rene Magritte zu nutzen: Kein Kopf, keine Hand. Mit jedem wachsamen Blick ist man aufs Neue verwirrt. Denn anstelle der rechten Hand des „In-Panik-Versetzten“ befindet sich eine Art Gaukler oder Artist, eine Art Jahrmarktaussteller, der schwungvoll zum Handstand oder Radschlag ausholt. Aber aus dem Fenster heraus. Die dritte Zumutung an die normale Wahrnehmung, die sich fragt, warum sich der Typ aus dem Fenster wirft. Das Auge wirrt also hin und her, zwischen dem Fehlenden Kopf, der fehlenden Hand und wundert sich über den Sturz aus dem Fenster. Stört es sich nicht am einen, springt ihm das andere Detail ins Auge.
Ganz und gar nicht mittelalterlich wirkt die Raumarchitektur. Olivgrüner Boden, der an Teppich erinnert und ein perfekt-geometrischer Türrahmen. Auch hier bleibt die Frage auf die Antwort, was sich dahinter befindet, buchstäblich verborgen: Magritte hat den Hinterraum der Tür wohl absichtlich ins Schwarze getaucht. Vermutlich flüchten die Figuren aber dorthin, während wir aufpassen müssen, dass unsere Wahrnehmung nicht auch in kopflose Panik verfällt.

Photographie: La fidélité des images (1928-1935)

Nicht überraschend ist, dass Magritte sich auch der Photographie zugewendet hat, war er ja nicht der einzige, der das tat. Der gleichaltrige Brecht, eigentlich Dramatiker und überhaupt kein Photokünstler, tat das ja auch. Aber überraschenderweise hat Magritte es geschafft, den Esprit seiner Bilder auch auf das lichtempfindliche Papier zu übertragen. Genauso grau, genauso trostlos und entfremdet, ja beinahe wie eingefroren, wirken die Photos wie seine Bilder. Vielleicht war das andere Medium sogar noch besser dazu geeignet, das, was Magritte vielleicht ausdrücken wollte, darzustellen.
Eine knappbekleidete Frau, die ein Mann mit einem Pinsel anmalt ist auf einem der etwa 40 Bilder anzuschauen. Durch die Photographie wirkt es so, als wäre der Künstler tatsächlich gerade an einer Leinwand und würde eine Frau nur malen, anstatt dass sie vor ihm stünde...Ein perfektes Verwirrspiel der Ebenen.
Ein Schnappschuss mit zwei Männern, die an einem Zaun hochklettern. Sogar ein Hund schaut der Szene interessiert zu.
Mehrere Ebenen konkurrieren, spielen miteinander und komplementieren sich gegenseitig, wir rezipieren Bedeutungsebenen und Räume im Wettstreit.

Der Maler und die Worte 

Les mots et les images
Auf eine weitere Entwicklungsstufe gelangte Margritte, als er die Sinnebene des Bildtitels und der Wörter entdeckte. Kein anderer Maler hat den Zusammenhang von Zeichen und Bezeichneten so sehr klargemacht, wie Magritte. Es wundert mich, warum mir während meines Studium der Sprachwissenschaft nie les mots et les images vorgelegt wurde, um die Arbiträrität der Bezeichung sowie die reziproke Evozierung von Zeichen und Bezeichnetem darzulegen. "Une image peut prendre la place d'un mot dans une proposition: Ein Bild kann an die Stelle eines Worts in einer Aussage treten. Für die Nicht-Französischsprechenden: Le...est caché par des nouages heißt: Die ... ist von Wolken bedeckt.
Genial wird  es dann, wenn Magritte etwas absichtlich falsch benennt. Magritte, der Semiotiker-Schelm. Magritte spielt mit der Auffassung und dem Vorverständnis, der unauslöschlichen Vorinterpretation, die durch das Gehirn geleistet wird, wenn es Wörter liest. So lässt er zum Beispiel in dem Bild dieu n'est pas innocent (Gott ist nicht unschuldig) ein vollkommen aussagelose Szene dargestellt. Es handelt sich bei dem Bild um ein relativ dick aufgetragenes Ölgemälde, das einen Strand darstellt, auf dem eine Möwe am Schnürsenkel eines angespülten Schuhs zerrt. Allein durch den Titel bekommt die ganze Szenerie einen symbolischen, hochreligiösen Kontext, der die Unschuld der Schöpfung infragestellt und die Theodizee-Problematik aufgreift. (Leider habe ich von diesem Bild keine Online-Abbildung gefunden).
Les clefs des sanges
Dieses Spiel mit Form, Farbe, Ebenenbrüchen, Sinnlosigkeit und Sinnkonstruktion durch den Rezipienten und Symbolkreation gipfelt dann in grotesken Bildern, die ich mir nicht anders vorstellen kann, als wie einen Gag des Malers, oder ein Austesten dessen, wie weit er gehen kann. Die Rede ist hier von Bildern wie  Le demon de la perversité (ein großer Titel, der große Erwartungen beinhaltet) oder le prince des objects
Nicht ganz so hoch, greift Magritte mit les clefs des sanges (Die Schlüssel der Weisen). Ebenfalls ein Vorführen der Semiotiker: Keines der sechs dargestellten Objekt (Denotat) passt zum darunterstehenden Wort. Einen besonderen Witz enthält das Bild dadurch, dass es buchstäblich Hammer zum Nachtisch gibt.

Abschließend

Abschließend möchte ich noch ein Gedicht vorstellen, dass diese Spielchen, die Magritte mit seinem Rezipienten und dessen Wahrnehmung macht, auf sehr ansehnliche Weise darstellt. Geschrieben wurde es von Paul Eduard, einem Freund Magrittes und gefunden habe ich es ebenfalls im Magritte-Museum in Brüssel.

Réné Magritte
(...)
un Escalier perpetuel
La réponse qui n'existes pas
une des marches est cachée par un nouage,
une autre par une grande couteau
une autre par un arbe qui se déroule
comme un tapis sans gestes (...)


Zusammengefasst kann man sagen, dass das Gedicht poetisch beschreibt, wie das stufenweise aufeinander Aufbauen unserer Wahrnehmung zur sinnvollen Interpretation bei den Bildern Magrittes auf kunstvolle Art und Weise ins Stolpern gebracht wird. Auf Deutsch heißt das Gedicht:

Réné Magritte 
eine unendliche TreppeDie Antwort, die es nicht gibteine der Stufen ist durch eine Wolke versteckt,eine andere durch ein großes Messereine andere durch einen Baum, der sich ausbreitetwie ein Teppich ohne Gesten 


La trahision des Images
Auch heute ist der Erfinder der Pfeife, die keine Pfeife ist, sondern nur eine Repräsentation (Gähnen in der letzten Reihe) noch präsent in unserer Auffassung und Bilderwelt. Das schönste, das ich hierzu gefunden habe, befand sich in Caen. Wenn man von der Haltestelle Crous Suaps zum Campus herunterlief, kam man an einer Mauer der Bibliothek vorbei. Einige Sprüher hatten sie belebt.  Eines der Bilder rekurriert in schönster, postmoderner Weise auf das Bekannteste, aber vielleicht nicht das Beste Sprach-Bild-Experiment des Belgiers, eben jenes Bild der Pfeife. Aber sehen Sie selbst: ceci n'est pas un....




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