Freitag, 24. Februar 2012

Robert de Niro als Travis in Martin Scorceses 'Taxi-Driver' (1976)
Martin Scorcese: Taxi Driver - Sozialdrama zum Nachdenken. 


Mit dem 1976 erschienenen New York Drama "Taxi Driver" bahnte sich Martin Scorcese den Weg in den Himmel der Starregisseure. Nicht nur bekam er die Goldene Palme in Cannes im selben Jahr, sondern auch vier Academy Awards Nominierungen. 

Die Wirkung des Filmes ist verstörend und beklemmend. Man erahnt die sich anbahnende Katastrophe. Man sieht die Sensibilität eines jungen Charakters, der noch nicht wieder bei sich angekommen ist. Ein Kriegsverteran, der als Taxifahrer in New York anfängt, das kann doch nur schief gehen? 
Lehrbuchhaft zeichnet der Film eine Abdriftkarriere in die Außenseiterschaft der Gesellschaft vor. Ein Dozent von mir sagte einmal, der Kern einer Erzählung befände sich bereits in den ersten paar Seiten eines Romanes. Das lässt sich auch auf diesen Film übertragen. 
Von Anfang an ist Travis (Robert de Niro) Tagebuch der einzig Vertraute seiner intimen Gedanken. Es schweigt vornehm, wie Platon schon Sokrates in den Mund legt, als dieser Phaidros die Nachteile der Schrift vor Augen führt. Es schweigt vornehm, auch dort, wo es einhaken, widersprechen oder Trost spenden sollte. Hier kristallisiert sich also bereits einer der multiplen Faktoren, die den Film zum Drama werden lassen: Travis könnte aktiver mit seiner Umwelt kommunizieren, sich bemühen sich mehr anzupassen und die Geduld aufzubringen, echte Freunde zu finden. Durch sein einseitiges Kommunikationsverhalten trägt er mit dazu bei, dass seine Kollegen nicht zu Freunden werden, sondern nur Kollegen bleiben. 
Aber auch die Umwelt trägt ihren Teil dazu bei, dass Travis ausrastet. Bereits das Einstellungsgespräch ist von einer Männercoolness und Unherzlichkeit bestimmt. Der Film avanciert zum klassischen Orts-, Milieu- und Opferdrama, weil die Umwelt, wie sie dargestellt ist (Diegese), hart, mitleidslos, erbarmungslos und einfach unfreundlich ist. Über die Unfreundlichkeit hat schon Walter Benjamin viel geschrieben, als er sie als einen der Grundpfeiler der brecht'schen Handlungsmaximen insbesondere in seiner Interpretation der "Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg Laotses in die Emigration" etablieren wollte. Ein freundliches "Hallo", "Guten Tag!", "Wie geht es ihnen?" oder "Danke für ihre Umstände!" aus dem Mund eines Kollegen, eines Kunden, eines Boss', eines Polizisten, etc. würde vielleicht verhindern, dass Travis eine Obsession entwickelt, in der er in der Welt nichts mehr viel mehr als unfreundlichen "Abschaum" sieht, der aus New York "herausgekehrt" werden sollte. 
Auch Sarte oder Camus lassen sich hier anbringen. Camus schreibt in seiner Vorrede über den Mythos des Sysiphos, dass ein Mensch in den Selbstmord getrieben wird, dass der Gedanken zwar in ihm anwachse, aber der letzte Stoß dann doch durch einen unfreundlichen Impuls von außen käme. Nach der Hölle des Kriegs wird Travis also in die "Hölle der andern" geworfen. Und dementsprechend steigt der existenzialistische Ekel in ihm auf. Er macht existenzialistische, isolierte Erfahrungen. 
Schließlich baut er noch auf die falsche Erlöserin (Betsy, Cybille Shepherd) und immerhin hat man schon ein Ursachentriplett, dass die sich erbarmungslos abrollende und sich quälend langsam zuspitzende Handlung zu verstehen hilft. 
Doch anstatt für den existenzialistischen Exitus entscheidet sich der tragische Held dieser Tragödie für einen fatalen und äußerst fragwürdigen lynchjustizischen und Befreiungsfeldzug der jungen Prostituierten Iris (Jodie Foster). Ein Batman ohne Kostüm. Erst nach seiner Rettungsaktion würde er sich gerne erschießen, aber alle seine Magazine sind leer. 
Die Endszenen des Films sind unklar gehalten. Es gibt einen klassischen zweiteiligen Epilog nach Abschluss der Haupthandlung. Zum einen wird ein Dankesbrief von Iris' Eltern von der Stimme des  Vaters verlesen, zum andern steigt Betsy noch einmal in das Taxi Travis' ein und sie führen eine ganz normale, konventionalisierte und gebändigte Konversation auch über die bevorstehende Präsidentschaftswahl. Offen scheint, ob es sich hier um Realität handelt oder um Komaträume von Travis. Denn weder trägt er eine sichtliche Narbe am Hals, noch erscheint es wahrscheinlich, dass Travis noch vor dem Ende des Präsidentschaftswahlkampfes aus seinem Koma wieder aufwacht. Abgesehen davon ist fraglich, wie die juristische Lage aussehen würde - schließlich handelt es sich um einen dreifachen Mord, den Travis begeht. Dementsprechend wirkt das Endidyll trügerisch.

Der Teufel steckt im Detail. Viel gäbe es noch zu besprechen und zu diskutieren. Erwähnt sei hier nur,  dass Travis auch einen Anschlag auf den Senator Palentine vorhatte und dass sein Handeln rechtstaatlich in keinerlei Hinsicht geduldet ist. Die Ansichten, die er während der kurzen Taxifahrt mit Senator Palentine kundtut sind ultrarechtskonservativ, menschenverachtend, eugenisch und lebensfeindlich. 
Es gibt eine ähnliche Kontroverse innerhalb Heinrich Bölls Roman "Billard um halbzehn" (1959) . Mit diesen Zitaten von der Figur Johanna Fähmel oder über sie möchte ich schließen:


"Mein ist die Rache", spricht der Herr, aber soll ich nicht ein Werkzeug seines Glaubens sein?"(Johanna Fähmel in "Billard um Halbzehn")

und 

"Ihr Wahnsinn ist Trauer, Trauer hinter dicken Mauern." (Über Johanna Fähmel in Billard um Halbzehn)

Zu erwähnen ist auch noch, das Scorcese diesem Film 23 Jahre später mit "Bringing out the dead" einen Film gleicher Machart, vielleicht sogar noch verstörender, mit Nicolas Cage in der Hauptrolle herausbrachte.  

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