ARMER SCHWARZER KATER...
(Band 1: "Irgendwo zwischen den Schatten"; Dargaud, 2000.)
Unlängst kam ich über die Empfehlung eines Freundes zum ersten Band der Blacksad Reihe der beiden Spanier Juan Díaz Canales (Szenarist) und Juanjo Guarnido (Zeichnung und Farbe). Es folgt ein Kommentar zum Inhalt, zu den Figuren, der Erzähltechnik, eine kleine Detailstudie zur Funktion und Handlungsweise des Bildhintergrundes und schließlich ein Fazit. Viel Vergnügen!
1. Handlung
Die Handlung ist schnell erzählt: bei Blacksad: "Quelque part entre les ombres" handelt es sich um eine klassische Detektivstory im Film noir Stil: Eine Schauspielerin wird tot aufgefunden, ihr letzter Liebhaber ist ebenfalls verschwunden. Blacksad macht sich, mit nichts als seinem guten Detektivgespür in der Tasche, auf die Suche nach dem Ursprung des Bösen.
2. Tierisch gute Charaktere
Atmosphärisch gut, harmonisch
verknüpft und lebendig gestaltet begleitet man den Detektiv Blacksad
bei der Aufklärung der Ermordung einer Schauspielerin durch eine
typische Film noir Episode – und dennoch fühlt es sich einzigartig und anders an, wenn man durch diesen Comic in die Welt des Verbrechens eintaucht. Warum? Ein Grund dafür mag in der Entscheidung der Autoren liegen, Tiere anstatt Menschen handeln zu lassen. Denn Blacksad ist ein schwarzer Panther, die Schauspielerin ein Mietz....pardon ein Kätzchen, der ermittelnde Kommissar ein deutscher Schäferhund, der erste auftauchende Bösewicht eine Eidechse in Jeans und schwarzer Lederjacke, usw. Man könnte sich daran stoßen: Wer mag schon Tiercomics? Und geht das gut so eine ernsthafte Geschichte durch Tiere erzählen zu lassen? Diese Zweifel, die bei der Sichtung des Covers hervorgerufen werden könnten, lösen sich aber schnell in Luft auf. So erfrischend lebendig sind die
Charaktere, so stimmungsvoll, genau beobachtet und präzise gezeichnet bewegen sich die Tiermenschen vor der Großstadtkulisse, dass man nur staunend immer wieder neue Feinheiten weiterentdecken kann. Man kommt nicht umhin, in ein breites Grinsen zu verfallen, wenn man z.B. in der charakteristischen Zeichnung eines brüllenden Gorillagesichts versinkt in einer Mischung aus der Faszination eines Zoobesuchers, der hautnah und ohne störende Mitbesucher eine verewigte Detailstudie vorgesetzt bekommt, und dem wissenschaftlichen Interesse eines Ethologen, der die Attribute eines bis aufs Blut gereizten, überraschten, verliebten oder nachdenkenden Tieres studieren kann.
Mit Sicherheit liegt auch in dieser Entscheidung der Verfasser einer der Knackpunkte, warum Blacksad so gut in Erinnerung bleibt. Auch wenn Disney's Micky Maus und Donald Duck die Vermenschlichung von Tieren in der Großstadt "Entenhausen" vorbereitet haben: So etwas war noch nie da gewesen - düsterster Film noir im Tiergewand. Indem Canales und Guarnido Tiere handeln lassen, kleiden sie eine altbekannte Geschichte in ganz neue Kleider und bringen somit frischen Wind ins Genre.
3. Erzähltechnik
3. Erzähltechnik
Der Comic setzt sich aus mehreren Erzählepisoden zusammen. Wie ein Mosaik entsteht so Stein für Stein die Lösung des Rätsels um die Ermordung der Katzenschauspielerin Natalia. Die Episoden sind abwechslungsreich gestaltet und laufen in einer mal rasanten, mal Zeit lassenden Enthüllungsdramatik nahtlos ineinander über. Der Spannungsbogen wird ausgewogen über den ganzen Comic verteilt.
4. Detail: Sprechende Hintergründe
Juan Canales und Juanjo Guarnido machen die Hintergründe ihrer Graphic Novel zum Akteur. Es gelingt ihnen durch geschickte Perspektivenwahl die Umgebung der Bilder mitsprechen zu lassen, immer wieder wird der Hintergrund der Bilder ins
Geschehen miteinbezogen. Manchmal als Kommentator des Geschehens,
manchmal als Amplifikator der im Bildgeschehen vermittelten Stimmung. Durch diesen Kniff werden zwei Effekt erreicht: Zum einen wird der Comic damit abwechslungsreicher. Zum andern werden die Kommunikationsebenen komplexer, raffinierter und bieten dem Verstand ein bewusstes oder unbewusstes Vergnügen beim Enträtseln, Erkennen und Wiederzusammensetzen der verschieden Komponenten, die die Gesamtnarration ausmachen.
Ein Beispiel: Während Blacksad auf dem Friedhof darüber nachgrübelt, ob das Böse auch schon nach ihm greife, was im Textfeld eingeschrieben ist,
wählen die Zeichner ihre Perspektive so aus, dass eine an sich
unbeteiligte Zierstatue auf dem Dach einer Gruft, die den Tod mit
einer Sense darstellt, plötzlich so aussieht, als würde sie lebendig sein und sich gerade im Vollzug befinden, den Katzendetektiv als ihre Beute
„einzuholen“. Weil man davor noch umblättern muss, trifft einen das Bild wie ein Schlag.
Tatsächlich treten dann auch unmittelbar danach zwei
Schläger auf. Während Blacksad noch sinniert, zeichnen sie sich zuerst als dunkle Schatten ab. Im nächsten Pannel werden sie dann so konkret, wie die Methoden, die sie Blacksad im nächsten Pannel antun werden, um ihn von seiner Recherchearbeit abzuhalten (s.u.).
Ähnlich ist es ein paar Pannels
weiter: Sad wird von zwei Schlägern auf dem Friedhof
zusammengeprügelt, während der Fokus auf eine weinende
Engelsstaute, die ihr Gesicht in den Händen vergräbt, im
Bildvordergrund gelenkt wird. Es nimmt den Anschein, als wolle sie
angesichts der Gewalt, die sich im Hintergrund vollzieht, ihre Augen verschließen und müsse gleichzeitig vor Verzweiflung weinen. Und zwar über Blacksads Schicksal und die sich vollziehende Gewalt, nicht aber über den Toten, der unter ihr ruht.
Betrachtet man immer
wieder diese kompositorische Gewitzheit kommt man nicht darum herum, dem Comic eine tierisch-verschmitzte Genialität im Bezug auf ihre
Kompositionen zuzusprechen. So arbeiten in diesen Fällen alle drei Bestandteile - Handlung, Bildhintergrund und Textfeld - harmonisch
zusammen, um dem Leser einen doppelten Schauer über den Rücken
laufen zu lassen, nämlich zuerst einen der Furcht und dann einen des Vergnügens über die gelungene Gestaltung.
5. Ausblick und Fazit
Es gäbe noch sehr viel Weiteres anzuspechen: Zum Beispiel das Spiel mit der Selbstreferenzialität, wenn Canales und Guarnido z.B. ihre Tiere verlautbaren lassen, dass sich die Menschen dieser Stadt zunehmend wie Tiere verhalten. Oder die Selbstreferentialität der Charaktere selbst, wenn der Hauptbösewicht, eine Kröte, zu Blacksad meint, Sad fehle die Kaltblütigkeit, um einen Mord zu begehen. Auch der Rhythmus, die Sprache und die Abwechslung aus innerem Monolog, Dialog, stummen Bildern und für sich selbst sprechenden Bildern, oder insgesamt: das Verfolgen der Fragen: Wer ist eigentlich gerade Akteur in diesem Comic? Wer treibt zu welchem Zeitpunkt die Handlung voran? wäre eine ausführliche Studie wert.
Zusammenfassend kann man aber nur den Hut vor diesem gelungenen Comicdebüt ziehen. Blacksad ist ein absolut lesenswerter Comic, den man nicht verpassen sollte. (Für Wissenschaftler: Denn Canales und Guarnido spinnen ein vielseitiges Semantiknetz, das sie auf geniale Weise aus
dem Zusammenspiel lebendiger Charaktere, einer düsteren und spannenden Haupthandlung, einem kommentierenden Hintergrund und außergewöhnlicher Mimik, Gestik und Sprache in ihrer durch die Tierbesetzung äußerst originell gewordenen Graphic Novel entwickelt haben.)
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Anhang: Die oben beschriebene Bildfolge auf dem Friedhof. Zum Vergrößern Anklicken.
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Anhang: Die oben beschriebene Bildfolge auf dem Friedhof. Zum Vergrößern Anklicken.
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