Mittwoch, 18. Juli 2012

Johanna von Orleans - Theater Ensemble Würzburg

Johanna von Orleans (Paula Binder) in Ketten (Theater Ensemble Würzburg, 2012)

Uff, das war happig! Zwei Stunden reine Spielzeit ohne Pause nach einem schönen und langen Tag und gestraft mit einer Sommergrippe. 

Inhaltsbeschreibung:


Worum geht es in dem Stück? Der Englisch-Französische Krieg tobt (Hunderjähriger Krieg, auch Erbfolgekrieg um die französische Krone, da Karl V. keinen männlichen Nachkommen hinterlies). Frankreich scheint geschlagen, als unerwartet die Tochter eines Schäfers wie eine Furie auftaucht und als Racheengel scheinbar wahllos über das Schlachtfeld fegt. Kein Drama ohne Trouble - Die Hamartia Johannas? So wie das Stück sie zeigte lässt sie sich hineinziehen in das Ränkenspiel am Hof und die Irrungen und Wirrungen der Liebe in Zeiten der Macht. Denn der französische Thron und die Länderein in einem noch nicht gefestigten Territorialstaat sind heiß begehrt. Bei dem Krieg handelt es sich vielmehr um den Kampf verschiedener Lehenverbände gegeneinander. Die Machtkonstellationen befinden sich dabei in einem ständigen Schwebezustand, wer heute Freund ist kann morgen schon Feind sein. Dieses Schwanken der Charaktere und der Machtkonstellationen hat das Stück sehr gut herausgestellt.
Gezeigt wurden neben Johanna ein dämonisches Wesen - Blass geschminkt im engen schwarzen Korsett mit goldenen Flügeln und abgezeichneten Lippen. Diese Figur wechselte immer wieder Funktion und Rolle, aber darauf soll nun nicht näher eingegangen werden. Daneben die Königsmutter, der König Karl VII. von Frankreich und die Herzoge Dunois und Philipp der Gute von Burgund.
In diesem wechselhaften Ränkenspiel ist Johanna die einzige wirklich Leid tragende.  Johanna, so scheint es, wechselt immer wieder die Seiten und schwankt zwischen Akteurin und Spielball der Menschen und des Schicksal. Sie kommt der Schitzophrenie mit jedem Sprung ein wenig näher. Die beginnt ihre Leben auf dem Schlachtfeld als Engel, doch zunehmend wird sie in den Dreck der reinen Machtpolitik hineingezogen. "Wo ist der Engel an deiner Seite?" fragt Burgund einmal an den König gerichtet. Und das weiß Johanna in diesen Momenten selbst nicht - wenn sie in bitterer Zwitracht scharfe Worte an ihr Wesen richtet, ihr Fleisch und ihre Geringfügigkeit verachtet. Ihr Charakter ist nicht dafür geschaffen, das Göttliche nicht dazu da, um zwischen den Wölfen zu wandeln. Sie weiß es und sie kann's nicht ändern. Das Ende vom Lied: der Wahnsinn und die Handlungsblockade fesseln sie gleichermaßen und sie wird von ihrem Volke hingerichtet. 

Die Inszenierung: 

 

Eine Pause täte ihr gut. Den Schauspielern ist nichts vorzuwerfen. Sehr gut artikulierten sie die Schillersprache und schafften es, die Wucht dieser Sprache ungefiltert auf die Bühne zu schleudern. Zorn so scheint es, regiert das Stück und auch diesen Zorn verkörperten die Schauspieler glaubwürdig und gnadenlos. Der Text war da und eine Präsenz ist den Schauspielern auch nicht abzusprechen. Auch Johanna spielt ihre Rolle gut, und man kann sich nur verneigen vor den Textmassen, die sie beherrschte. Außerdem ist ein gewisses Maß an Abwechslung im Stück enthalten: Monologe, Dialoge, Stichotomien - Einzelrede, Paarrede und gemeinsam rezitierte Verspassagen: das sitzt. Auffällig ist - das liegt aber an der werktreuen Inszenierung - das hohe Maß an Botenberichten (Teichoskopien) und ehrlich gesagt: Leider ist man es auch irgendwann leid, die dritte Variation einer Schlacht mit in die Ferne gerichteten Augen anzuhören: 

"Daß der Sturm der Schlacht mich faßte.
Speere sausend mich umtönten
In des heißen Streites Wut!
Wieder fänd ich meinen Mut!" ( Johanna 4, 1)

Die Ausstattung der Charaktere ist etwas eigenwillig: Beginnt das Stück noch mit klassischen Zweihändern, die der König schlecht und Johanna besser führen - so gleitet die Ausstaffierung ein wenig ins ungewollt Humoristische ab: Eine Magnum und andere Handfeuerwaffen werden schließlich ständig in den Händen der Protagonisten gehalten,  um sich gegenseitig zu bedrohen. Dann kommt eine Shotgun hinzu und den krönenden Schluss setzt die Anwesenheit einer Maschienenpistole, die die Königin plötzlich im Anschlag hällt. Reaktualisierung, natürlich. Aber stilistisch darf man darüber streiten. Im Ungleichgewicht zu dieser Waffenpräsenz steht die Tatsache, dass kein echter Schuss fällt. Ich störte mich im übrigen an diesem Wölfebalett auf der Bühne - aber vielleicht wollte Schiller ja genau das darstellen, um seine Johanna vor diesem Hintergrund als schiller(nd)en Charakter in die Verklärung aufzuheben. Machtgierige Wölfe und ein Engel.
Geschickt waren die Schattenkämpfe hinter der gespannten Leinwand.
Das zweite, was mir nicht gut gefallen hat: Die Teekanne und das Teeservice auf der Bühne passt in keinster Weise in die Zeit oder das Stück. Und schließlich - vielleicht eine Lapalie - aber die Adidas-Trainigshose Johannas und der Reebock-Panzer, in den sie sich zwängt. Die Labels hätte man irgendwie überkleben sollen.
Ansonsten hat das Stück wirklich viele gute Ideen, um den Stoff und das Innenleben der Protagonisten sichtbar zu machen (Becherepisode, das weiße Laken, das zum Baldachin und dann zum Fluß (?) wird, ...).
 Ich bedanke mich für die Einladung und wünsche dem Stück viel Erfolg!

Nachschlag:


Was in dem Stück sehr augenfällig wird, ist, dass Schiller begeistert Plutarch gelesen hat. Den Mensch auf dem Schlachtfeld, der zum Halbgott wird, bzw. der mit Gottes Beihilfe kämpft, könnte er z.B. aus Plutarchs Timoleon-Schilderung aufgenommen haben. Ähnlich ist es überhaupt mit der Anwesenheit übernatürlicher Kräfte auf dem Schlachtfeld und in der Menschen Schicksal. Stichwort:  Deisidaimonie

Zitate:
Karl an Burgund: "Euer Hofstaat ist der Sitz der Minne, sagt man, und der Markt wo alles Schöne muss den Stapel halten". (3,3)
Johanna: "Fürchtet die Zwitracht! Wecket nicht den Streit aus seiner Höhle wo er schläft (...)" (3,4)

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