Dienstag, 18. Dezember 2012

Schillers Don Carlos - Intrigen am Hof


Alba, Philipp und Domingo

1787 wurde Schillers Jugenddrama "Don Carlos, Infant von Spanien" uraufgeführt. Es geht darum um einen Vater-Sohn-Konflikt gewaltigen Ausmaßes in den der Plutarch-Leser noch einiges an zeitgenössischen Gedankengut versenkte. Die Werkstattbühne brachte das Historiendrama sehr werktreu auf die Bühne. 

 

1. Ausgangssituation, Grundkonflikte und Nebenkonflikte

Philipp II. regiert mit eiserner Hand über ein Imerpium. Die Mutter des Thronfolgers - Don Karlos - starb bei dessen Geburt, der König vermählte sich mit der hübschen französischen Königin  Elisabeth de Valois. Die Trauung und der Umzug der französischen Prinzessin sind noch nicht lange her, als sich die Region Flandern gegen die Fremdherrschaft auflehnt. Dies ist die Ausgangssituation des Dramas, in das Schiller drei wesentliche Konflikte einbaute: 

1. eine unmögliche Liebe: Don Carlos ist in die Königin, seine neue Stiefmutter und die Frau seines Vaters, verliebt.
2. zwei Arten zu regieren: Philipps Politik baut auf Unterdrückung sowie Kontrolle durch Angst und Bestrafung. Carlos dagegen träumt von einer Regierung, die auf Vertrauen, Schonung und Offenheit gegenüber den Unterthanen ausgelegt ist. Eiserner Despotismus trifft also auf aufklärerische Tugendherrscher-Ideale
3. Staats-, Politik- und Machtkalkül, Strategie und Intriganz trifft auf Wahrheitsliebe, Sturm und Drang und Empfindsamkeit.

Zu diesen drei Hauptkonflikten, die das "dramatische Knäul" der Handlung liefern kommen noch Seitenverstrickungen hinzu: 
Elisabeth und Eboli
Zum einen Vertrauen und Verrat seitens Posas und Carlos, die Jugendfreunde sind und Posa steht in der Schuld Carlos. Zum andern die Unentschlossenheit der Königin als Frau oder als Diplomatin aufzutreten (im Übrigen scheint es mir unklar geblieben zu sein, ob, wie und auf welche Art und Weise sie Don Carlos liebt). Außerdem spielt auch ein Eifersuchtsdrama eine wesentliche Rolle, die zum dramatischen Untergang des Infanten beiträgt: Prinzessin Ebolie verliebt sich in Carlos und macht ihm den Hof. Als dieser sie abweist, wittert sie die verbotene Liebe und tut alles erdenkliche, um Beweise für das Liebesverhältnis in ihre Finger zu bekommen, die sie dem König zuspielen möchte. Liebe ist in Hass umgeschlagen.
Schließlich sei am Rande noch erwähnt, dass auch die Machtbulereien der Vasallen des Königs, seiner Marquise, eine Rolle in dem Stück führen. Triebfeder aller Handlungen des Herzogs von Alba ist sein Bestreben, die rechte Hand des Königs zu sein und zu bleiben. Ähnlich scheint es mit Domingo zu sein, der nur in der Gunst des Königs bleiben und steigen möchte. 
Insgesamt entsteht so ein familiäres Beziehungsdrama im Dunstkreis der Macht am spanischen Hof. 

2. Die Figur des Carlo: Fehlen der "Ziviliserung" nach Kant ?

Hamartia des Hauptprotagonisten, Karlos, ist sein Überschwang. Seine Motive sind gut - dementsprechend genießt er die Sympathie des Zuschauers - doch die Art und Weise ihrer Umsetzung stellt das Drama durch seinen katastrophalen Ausgang in Frage. In das Stück sind viele Werte der aufklärerischen Erziehungsphilosophie Rousseaus und Kants eingearbeitet. Da Schiller selbst begeisterter Kantrezipient war, und der Schriftsteller viele seiner theoretischen Gedanken in das Reich der Literatur sprachlich herausgeputzt transferierte, lohnt es sich Karl einmal durch die Brille der pädagogischen Philosophie Kants zu betrachten.

IMMANUEL KANTS Bildungskonzept (nachzulesen in der Schrift "Über Pädagogik") zielt auf Autonomie und Mündigkeit. Der  mündig und autonome Mensch muss sich selbst (nach Disziplinierung, Kultivierung und Zivilisierung) dazu entschließen das moralische Gesetz als seine lebensregierende Maxime anzuerkennen. Dazu dient ihm ein Leben nach dem kategorischen Imperativ. Karlos ist ein Vertreter dieser moralischen Bildung. Er setzt sich über die geltende Moral hinweg und stellt ihr eine eigene, philosophisch autonome und herzgegebene Moral entgegen. Innerhalb der Stufen der Erziehung nach Kant hat er also die Stadien der Disziplinierung, der Kultivierung und der Moralisierung erfolgreich durchlaufen. Allein ein Manko haftet dem Charakter an, um aus dem bestehenden System herausgeworfen zu werden: 

Durch die Disziplinierung soll die menschliche Wildheit bezähmt werden. Durch die zweite Aufgabe der Erziehung, die Kultivierung, soll der Mensch Geschicklichkeit "zu allen beliebigen Zwecken"
erlangen (z.B. ein Brotmesser zu gebrauchen, eine Holzgrippe zu schnitzen, etc.), während die dritte Aufgabe, die Zivilisierung, den Menschen klug machen soll, was bedeutet, daß der Mensch " ... Manieren, Artigkeit und eine gewisse Klugheit [erlernt], der zufolge man alle Menschen zu seinen
Endzwecken gebrauchen kann" (Päd Bd. XII, A 24). Dies nennt Kant auch die Herausbildung der "pragmatischen Anlagen" des Menschen. Die letzte und entscheidende Aufgabe der Erziehung, die Moralisierung, weist über die vorangegangenen hinaus. "Der Mensch soll nicht bloß zu allerlei Zwecken geschickt sein, sondern auch die Gesinnung bekommen, daß er lauter gute Zwecke erwähle. Gute Zwecke sind diejenigen, die notwendigerweise von jedermann gebilligt werden; und die auch zu gleicher Zeit jedermanns Zwecke sein können" (ebda. A 24).

Betrachtet man diese aufeinander aufbauenen Bildungsstufen und überträgt sie auf Carlos, so wird klar, dass ihm eine der pädagogischen Fähigkeiten vollkommen charakterfern ist: die Herausbildung der "pragmatischen Anlagen", bzw. die Zivilierung seines Charakters. Ihm fehlt just jene "Klugheit", die man auch Intriganz nennen muss, der zufolge er "alle Menschen zu seinen Endzwecken" gebrauchen hätte können. Es ist eine Frage, deren Bewertung wissenschaftlich betrachtet offen bleiben muss. 
Festzustellen ist jedenfalls, dass der Infant sich weigert, im Netz der Intrigen mitzuspielen. Anstatt dem Vater gut zuzureden und seine Gunst durch herrscherisches und unterwürfiges Auftreten zu erlangen, wagt er das offene Gespräch und erntet den offenen, unüberbrückbaren Konflikt. Anstatt sich mit Alba zu versöhnen und ihn als Komplizen zu gewinnen, zeigt er ihm seine Missachtung und schürt somit dessen Argwohn und Feindschaft. Damit gerät er zunehmend in Isolation am Hof. 

Wie ist sein Untergang also zu bewerten? Vieles weist darauf hin, Schiller als Sympatisant mit Don Carlos zu verstehen. Er stirbt, wie Posa, den erhabenen Märtyrertod in einem menschenverachtenden Blutherrschaftssystem, dem er sich offen widersetzt. Andererseits kann man Schillers Drama aber auch so lesen, dass es Karlos wildes, stürmisches und ungebändigtes Auftreten zur Diskussion stellt, indem das Resultat des Dramas doch Karlos Untergang ist. Ich möchte hier nicht entscheiden, die Ambivalenz der Bewertung der "Heldenfigur" soll nur angesprochen werden. 


3. Inszenierung

Insgesamt war die Inszenierung recht düster und atmosphärisch gehalten. Das Bühnenbild war sehr reduziert und abstrahiert. 
Interessant war der Einfall, eine Gefängniswand durch den Raum verlaufen zu lassen. Symbolisch müsste er in jeder Szene so interpretiert werden, wer wann auf welche Art und Weise "Gefangener am Hofe" oder "Gefangener des herrschenden System" war...Einzig andere REquisite war ein Stuhl und zwei Stuhl-Tisch-Elemente, die je nach Verwendung alles darstellen konnten: Stuhl, Tisch, Bank, Bett, etc.  Modernisierend sollte wohl die Installation von drei Überwachungskameras wirken, die die aktuelle Überwachungsstaatsthematik kritisch auf der Bühne etablierte. Dies schien mir konzeptuell nicht so gelungen oder ausgereift, ästhethisch machte es aber einiges her, da die Bilder auf vier den Zuschauern zugewandten Monitoren präsent waren. Einfach gesagt: Es sah super aus. 
Domingo und Alba orientierten sich an Schlange und Löwe. Auch dies gelang den Schauspielern gut. Sehr gut spielte die Königin. Kühl, nüchtern und sprachlich sehr gut. Zu bemängeln ist etwas, dass das Stück in einem Rhythmus durchfloss, bzw. durchjagte. Zweifelsohne, Schillers Dramatik ist eine rasante Dramatik. Aber das Tempo und die rhytmische Eintönigkeit verlangten dem Zuschauer doch einiges ab und es war nicht immer leicht, allen Nuancen der Handlung, Intrigen und Sprache zu folgen (was natürlich auch an Schillers Sprache liegt). 
Ein musikalischer Patzer war dabei. Ein High-Voltage Dub-Step Song passte nun doch gar nicht ins Geschehen. Auch ein Katana in die Welt der spanischen Frühneuzeit einzubringen ist doch fragwürdig. Die Szenenübergangsmusik war dagegen sehr gelungen (Sie ist auch im Trailer zu sehen). 

Fazit: Auch wenn es Laientheater ist, ist es dennoch eine junge, gewagte, spritzige und geladene Aufführung gewesen, der ich gerne gefolgt bin. 



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