Montag, 28. Januar 2013

Fesselnd und berührend - Nietzsche



(UND DER) 

NIETZSCHE 

(- COMIC) 






Unlängst las ich den Nietzsche Comic von Onfray / Le Roy. Im Deutschen ist er beim Knaus-Verlag erschienen. 

Nietzsche als moderner Held 

ER ist fesselnd, berührend.
Wer ist fesselnd und berührend? Ja, inzwischen, nun eine Woche nach der Lektüre, hat die Frage und ihre Beantwortung ein erstaunliches Eigenleben entwickelt. Eigentlich dachte ich, es sei Onfrays und Le Roys Comic. Aber inzwischen denke ich, es ist Nietzsche, der mir durch den Comic viel näher gebracht wurde. Nietzsche. Dieser Held der Moderne. Der Held der Moderne?
Ein paar der ersten Bilder aus dem Nietzsche Comic
Spricht man heute von Helden denkt man zuerst an Superman, Wolverine, den roten Blitz und an alle andern Auswürfe des Marvel oder DC Superheldenuniversums. Wenn man etwas weiter denkt kommen dann vielleicht Gedanken an die Feuerwehrmänner in Fukushima, Katastrophenhelfer an sich, die Ärzte und Krankenpfleger aus Ägypten, die nach Lybien fuhren, um dort ihre revoltierenden Gesinnungsgenossen zu unterstützen. Aber an Nietzsche denken? Diesen verkorksten, griesgrämigen Migränegrübler, der sich nicht außer Haus traute? Dieser Wuchtklotz mit dem wullstig-wuchernden Schnauzbart aus der Jahrhundertwende? Verblüffend, aber ja, genau dieser. 
Nietzsche formulierte seine Gedanken und lebte sie aus. Er verweigerte die passive Konsumhaltung und erforschte mit allem Leidensdruck, der dazugehört, die Möglichkeiten der menschlichen Existenz.
Was macht Nietzsche zum modernen Helden, vielleicht sogar zu dem Helden der Moderne?
Die Helden im literarischen Diskurs sind oftmals Leidende. Genial, aber von Leid begleitet. Genauer betrachtet ist die Genialität sogar, so scheint es, eine Bedingung für ihr großes Leid – je größer das Genie, desto größer die Bürde, die daran gekoppelt ist.
Vielleicht beruht Nietzsches Talent, seine Genialität in seine Weitsicht. Er graste alle Themengebiete der menschlichen Existenz in einmaliger, radikaler und gleichzeitig poetischer Art und Weise ab. Zwischenmenschliche Beziehungen (Der Wille zur Macht), unsere Wahrnehmung (z.B. "Zur Genealogie der Lüge"), Kunst und Kunstverständnis ("Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik" / Seine Wagnerkritiken), den Glauben. Immer weiter in die Finsternis getrieben, riss er jede Fassade ein, um zu sehen, was dahinter steckt, woraus es besteht und wie es sich anfühlt, bis, so hat es den Eindruck, die Materie und alles, was er anfasste, selbst vor seinem Geist zerbröselte und sein Schädel zerbrach. Und dann eben noch dieses Meer an Mitgefühl, das ihm zum Verhängnis wurde.
Seine Hassliebe zu den Menschen und die Verantwortung, die er ihnen gegenüber empfindet, ihnen die Wahrheit entgegenzuschreien. Heldenhaft also in jedem Fall das tragische Ende seines Lebens. 

Nietzsches Philosophie - Kurzabriss

Nietzsche schrieb über die Genealogie der Moral( den Ursprung der Moral). Seiner Philosophie haftet etwas krass Elitäres an. So "von Gipfel zu Gipfel, und auf einmal ist da keiner mehr". Oder „mir nach, ich geh da voran mit der Fackel in die Dunkelheit!“ Er hatte zeitlebens schwere Kopfschmerzen, nahm etliche Medikamente dagegen, war eventuell homoerotisch, auch wenn er sich in Lou-André Salome verliebt hatte, hatte eine Dozentenstelle in Basel, bevorzugte es aber anstatt sein Leben ruhig als Dozent zu fristen, lieber Nacht für Nacht zu arbeiten, ohne Ende, bis er Kopfschmerzen bekam, um dann wieder weiterzuarbeiten. Er meinte, der Mensch brauche Lüge, um die schlechte, dem Willen zur Macht unterworfene und in Lügen gefangenen Welt zu ertragen. Oder einen harten Panzer, einen unerschütterlichen Trieb zur Wahrheit und die aktive Bejahung des Lebens. Er meinte: das Leben sei ein Krieg jeder gegen jeden, in Aufnahme von Schopenhauers Denken. Ein Kampf verursacht durch den Willen zur Macht.
Abgesehen davon war er es, der Gott für tot erklärte sowie den Gedanken der ewigen Wiederkunft entwarf. Auch der Übermensch geht auf ihn zurück. Sowie das apollinische und das dionysische Prinzip. Im späten Alter verfiel er in einen Zustand dämmriger Umnachtung. 

Der Comic


Zuerst: Der Comic sei jedem Fan großer Kunst wärmstens ans Herz gelegt. Er ist fesselnd und berührend. Still und ausdrucksstark. Er zeichnet Nietzsches Leben in wichtigen Etappen nach. Man erkennt Konturen seines Denkens und seines Lebens gleichzeitig. Was man aber nicht verliert, ist der Blick auf den Menschen Nietzsche. Nietzsche, nur ein Mensch. Eine gequälte protestantische Seele, die früh am Verlust des Vaters leidet. Denn wie man Kafka als "Ewigen Sohn" denken muss, so muss man auch bei Nietzsche den früh vaterlosen im harten Protestantismus aufgewachsenen Knaben mitdenken, der irgendwie mit einer Art Schuldgefühl auf die Welt kommt und dieses treibt ihn vielleicht sein Leben lang voran.  Und das ist mitberücksichtigt worden.
Die Perspektive des Comics ist zuschauend, kennenlernend, zurückhaltend, beobachtend und beschreibend gleichzeitig. Hier eine Leseprobe



Zum einen als Jungen ohne Vater und zum andern als scharfsinnigen Denker, Schreiber und Formulierer. Denn sein Werk wächst auf dem Boden einer von Anfang an mit Unglück gestraften, empfindsamen und verletzten Seele. „Man darf ihn nicht ernstnehmen“, soll Thomas Mann einmal über seinen Lieblingsphilosophen neben Schopenhauer gesagt haben. Darf man das nicht? Nietzsche nicht ernst nehmen, heißt die Philosophie nicht ernst nehmen heißt eine (höhere) Verantwortung des Menschen füreinander, untereinander und auch gegenüber der Natur nicht ernst nehmen. Das Resultat davon sehen wir in jeder einzelnen Sendung der Tagesschau.

2 Kommentare:

  1. "Nur, wo Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, sondern – so lehre ich's dich – Wille zur Macht!"

    Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra.

    Mit dem Willen zur Macht ist keinesfalls das Beherrschenwollen anderer Menschen gemeint, sondern das Beherrschenwollen der Dinge. Hier liegt der zentrale Denkfehler derer, die die Philosophie Nietzsches nicht verstehen, weil sie entweder das eigene Beherrschtwerden für eine "Tugend" halten, oder selbst nichts anderes im Sinn haben, als andere zu beherrschen. Gerade dieses Beherrschen und Beherrschtwerden, die Fremdbestimmung, muss überwunden werden, damit der darum noch machtlose Mensch zum "von Göttern und Anbetungen erlösten Übermenschen" wird, der über die wahre Macht, die Beherrschung der Dinge, verfügt:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2012/09/von-den-drei-verwandlungen.html

    Schon bevor die Lösung der uralten Sozialen Frage – und damit zugleich die Überwindung aller Zivilisationsprobleme, die sich überhaupt thematisieren lassen – erstmals im Jahr 1906 wissenschaftlich exakt beschrieben war, hatte sich der Philosoph Friedrich Nietzsche überlegt: Wenn die "Prediger des Todes" sich einen Jesus erfinden konnten, der er mit Sicherheit nicht war, kann ich einen Propheten erfinden, der das Leben erklärt:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/10/glaube-aberglaube-unglaube.html

    Nietzsches Zarathustra ist der Prophet Jesus von Nazareth, der er wirklich war: der erste Denker in der bekannten Geschichte, der die ideale Makroökonomie als Voraussetzung für die klassenlose Zivilgesellschaft erkannt hatte, 19 Jahrhunderte vor dem Genie Silvio Gesell (1862 – 1930). Dieser konnte noch nicht wissen, dass die Natürliche Wirtschaftsordnung, auf der anfänglich die Soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland nach dem 2. Weltkrieg basieren sollte,...

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2012/08/personliche-freiheit-und-sozialordnung.html

    ...der tatsächliche "Himmel auf Erden" ist, denn die Heiligen Schriften von Nag Hammadi, die das zweifelsfrei beweisen, wurden erst 1945 entdeckt. Aus den vier biblischen Evangelien, die von Anfang an nur für den Moralverkauf erdichtet wurden, ist das nicht mehr zu erkennen. Die von den "Predigern des Todes" aufrecht erhaltene Programmierung des kollektiv Unbewussten mit dem künstlichen Archetyp Jahwe (der "liebe Gott" für die Dummen) verhindert bis heute den eigentlichen Beginn der menschlichen Zivilisation:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/11/macht-oder-konkurrenz.html

    "Der Anteil des Unbewussten an unseren Handlungen ist ungeheuer und der Anteil der Vernunft sehr klein."

    Gustave Le Bon (Psychologie der Massen)

    Ist beim "Normalbürger" der Anteil der vernünftigen Handlungen "sehr klein", so ist er beim "Geistlichen" gleich Null – was wiederum bewirkt, dass beim "Normalbürger", der den Geisteskranken für einen "Geistlichen" hält, der Anteil der Vernunft nicht wächst:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/11/der-wille-zur-macht.html

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    1. Vielen Dank für diese erleuchtende Klarstellung! Sie kennen sich besser mit Nietzsche aus als ich. Spannend ist das, dass Sie meinen, Nietzsche hätte sich seinen Propheten erfunden, der die Gegenwart schonungslos beleuchtet. Wirklich! Vielen Dank!

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