Dienstag, 15. Oktober 2019

Kabale und Liebe - Gefühlsmassaker und Freiheitskampf. Ein Evergreen!

Der Präsident und Wurm
Im Mainfrankentheater wurde der Klassiker von 1784 Schiller auf die Bühne gebracht. Der Funke kann sich entzünden, wenn man sich darauf einlässt. Die zeitgenössischen Reaktionen, so hört man oft, seien ähnlich der Reaktionen zu den "Räubern" gewesen: Ohnmacht, Geschrei, Aufruhr. Und ja, mag es "weibisch" sein oder klingen - das Stück kann affizieren, wenn man sich darauf einlässt (und nicht sagt: "Das ist doch nur Theater"). Und wenn es affiziert, dann schlägt es ein, wie es nur die Werke des Sturm und Drang können: mit voller Wucht, im Namen der Liebe, im Kampf gegen Unterdrückung und für Autonomie, im Namen der Rechtschaffenheit und des Edelmuts gegen die Niedertracht, den Egoismus und das Macht- und Karrierestreben.

Was kann man dazu sagen?

Das Unheil nimmt seinen Lauf: Louise im Moment, als Wurm
ihr das Verfassen des Briefs an Kalb abverlangt
Schiller konstruiert in eine ungerechte Welt, die aus willkürlichem Adel und rechtschaffendem Bürgertum besteht eine unmögliche, weil ständeübergreifende Liebe, die nicht den Vorstellungen des Präsidenten für seinen Sohn, Ferdinand, entspricht. "Lohnst du mir so meine schlaflosen Nächte? (...) Lass mich an deinem Glück arbeiten! (...) Dass du [der Malfoy ihr] Bräutigam wirst" - Denn der Vater wünscht dem Sohn eine gute Partie, die - so wird es dem Zuschauer offen präsentiert - nicht nur dem Wohle des Sohnes dienlich ist, sondern auch der gesellschaftlichen Stellung des Vaters selbst. Der Sohn also als Schachfigur im machtpolitischen Dünkel und der Vater ein Scheußsal, was es erst zuletzt realisiert ("Ich will diese ganze Brut...") - Kabale.
Dem gegenübergestellt ist der Traum einer ständelosen Gesellschaft - "wenn Menschen nur noch Menschen sind, dann werde ich reich sein", in der Miller "vor Gott kniet und nicht vor Schelmen". Und in dieses Bürgertum - zu dem rein faktisch Ferdinand auch gehört - wird eine Liebe versenkt, eine romantische, allumfassende und wuchtige Sturm-und-Drang- Liebe: "Wilde Wünsche werden in meinem Herz rasen".
Miller und seine Tochter: er bringt sie vom Selbstmord ab;
Die Verklärung ihrer Figur hat bereits begonnen (weißes Kleid und Kreuz)
Die Welten kollidieren. Eine Briefintrige initiiert die Mechanik des Untergangs, initiiert allein aus Kaltherzigkeit, um die Stellung am Hof zu halten. Louise wird gezwungen, die Liebe Ferdinands in rasende Eifersucht umschlagen zu lassen. Sie schreibt einen Liebesbrief an Marshall von Kalb, weil ihr damit gedroht wird, dass ihre Familie eingekerkert wird. Ein Eid soll ihren Mund verschließen. "Ein Eid? Was soll ein Eid fruchten? (...) - Bei uns nichts, bei diesen Menschen: ALLES." So ist es für Louise und ihre "Pflicht heißt bleiben und dulden".  Ihr Mund bleibt verschlossen, so dass Ferdinand den Köder schluckt und beinahe daran erstickt. Er vergiftet sich und Louise in seinem Wahn. Das Ende kommt erwartet und heftig. Der Zuschauer denkt sich: War es das wert? - so wie der Präsident es empfinden muss, als er seinen toten Sohn sieht.
Ferdinand verzweifelt. Louise spricht nicht aufgrund des
Eids, an den sie sich hält

Schiller kleidet all das in gehobene Sprache, wuchtige Sprache, die trotzdem verständlich bleibt, und verletzende Ehrlichkeit der vertrauten Figuren untereinander. Mich hat es aufgewühlt, ich hatte Mitgefühl und bange Hoffnung, dass alles sich doch irgendwie zum Guten wendet. Allein Ferdinand wird irgendwann wirklich Opfer seiner Gefühle - aber nachvollziehen kann ich ihn.

Die Inszenierung am MFT  war wirklich gut. Die Schauspieler überzeugten und - bei aller Kritik, die Brecht ja schon äußerte, dass die revolutionäre Sprengkraft des Stücks zur bourgeoisen Abendunterhaltung umgemodelt wurde - es war wahnsinnig imposant und beeindruckend so einen Klassiker beinahe ungekürzt auf die Bühne gebracht zu sehen. (Was für ein Mut, solch ein Stück 1784 herauszubringen!)
Musikalisch unterlegt mit einem Cello, eine sehr eigene aber gelungene Interpretation des Marshall Kalb mit pinken Schnallenschuhen aus Gummistiefel-Material, Barockkostüme, eine gute Ausleuchtung und ein langer Holzsteg bis über den Orchestergraben - gefühlt fast weit in das Publikum hinein, all das hat Stimmung erzeugt!


In eigener Sache: Ferdinand - als er sich verraten vorkommt. Mit ehrlichen, großen Gefühlen...er hat mir aus der Seele gesprochen):
Es ist nicht möglich! nicht möglich! Diese himmlische Hülle versteckt kein so teuflisches Herz – – Und doch! doch! (...) Ein unerhörter, ungeheurer Betrug, wie die Menschheit noch keinen erlebte! (...)
Mich so ganz zu ergründen! – Jedes kühne Gefühl, jede leise schüchterne Bebung zu erwiedern, jede feurige Wallung – An der feinsten Unbeschreiblichkeit eines schwebenden Lauts meine Seele zu fassen – Mich zu berechnen in einer Thräne – Auf jeden gähen Gipfel der Leidenschaft mich zu begleiten, mir zu begegnen vor jedem schwindelnden Absturz – Gott! Gott! und alles Das nichts als Grimasse? – Grimasse? O, wenn die Lüge eine so haltbare Farbe hat, wie ging es zu, daß sich kein Teufel noch in das Himmelreich hineinlog?
Da ich ihr die Gefahr unsrer Liebe entdeckte, mit welch überzeugender Täuschung erblaßte die Falsche da! Mit welch siegender Würde schlug sie den frechen Hohn (...) zu Boden (...). 
Sie weiß, was sie aus mir gemacht hat. Sie hat meine ganze Seele gesehen. Mein Herz trat beim Erröthen des ersten Kusses sichtbar in meine Augen – und sie empfand nichts? empfand vielleicht nur den Triumph ihrer Kunst? – Da mein glücklicher Wahnsinn den ganzen Himmel in ihr zu umspannen wähnte, meine wildesten Wünsche schwiegen – vor meinem Gemüth stand kein Gedanke, als die Ewigkeit und das Mädchen – Gott! da empfand sie nichts? fühlte nichts, als ihren Anschlag gelungen? nichts, als ihre Reize geschmeichelt? (...)Nichts! als daß ich betrogen sei?
(Akt 4, Szene 2)



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