Constant Montald (1862-1944) - symbolischer Jugendstil vom Feinsten
Montald _ la fontaine de l'inspiration |
Nein, ich kannte ihn vorher auch nicht. Über einen der schillerndsten belgischen Jugendstilkünstler gibt noch nicht einmal einen Eintrag in der deutschsprachigenWikipedia-Enzyklopädie. Am Rande wird er in einem Artikel mal erwähnt, weil er der Leiter der Ecole des Beaux Arts in Brüssel war. Wenn man das Musée des Beaux Arts allerdings einmal betreten hat, wird man sich diesen Namen einprägen - oder zumindest seine Bilder. La Fontaine de l'Inspiration und La Barque de l'Idéal: diese beiden Bilder schmücken die Wände der Empfangshalle des belgischen Kulturspeichers. Letzterem widmete ich meine Aufmerksamkeit.
montald _ la barque de l'idéal (1907) |
Ich saß vor einem
immens hohen, goldumrahmten Jugendstilbild. So viel Öl, wie benutzt
wurde, ist es wohl angebrachter von einem Gemälde zu sprechen. Constant
Montald: La Barque de l'Idéal, 1907. Ich war stehengeblieben, weil ich
vom Herausquellen der weißen Blüten, wasserfallartiggleich, und im
Gegensatz zur stillen Regungslosigkeit der Figuren vor dem Blütenrausch,
in den Bann gezogen wurde. Was ist also zu sehen?
Fünf
Personen. Drei bekleidet, zwei nackt. Drei Frauen in hängenden
Gewändern und zwei nackte Jünglinge. Einer von ihnen hält eine kleine
Holzfigur in der Hand, vielleicht eine Venusabbildung, vielleicht auch
eine Maria, während beide von einer Art silbrigem Mondlicht bedeckt
werden. Dem Bild haftet etwas Zeremonienhaftes an Die abgebildeten
Figuren interessieren sich nicht für den Zuschauer, sie wirken ganz und
gar in ihrem Handeln versunken.
Im
Bildhintergrund rechts hinten deutet sich ein Weg an. Unmittelbar wird
klar: Die drei Frauen sind gerade von dort angekommen. Um den
Mondgezeichneten etwas zu zeigen oder zu übergeben? Das Kunstwerk im
Holzrahmen, das die eine der Frauen trägt, oder die kleine
zusammengezogene Holzskulptur, die einen gebückten zusammengezogenen
Mann darstellt. Und vielleicht ist es ja auch das Werk der dritten
Figur, die einer der beiden Mondbeschienenen in Händen hält, prüfend.
Und auch prüfend und beratend der Ausdruck des Zweiten.
Die
Farbgebung spricht dafür. Schließlich sind die Farben der mitgebrachten
Kunstobjekte und die Farbe der Gewänder der Frauen gleich - eine
Zusammengehörigkeit von Kunstwerk und Überbringer scheint also in die
Farbsprache hineingelegt worden zu sein. Auch die Bäume haben dieselbe
symbolische schwere Goldbraunfarbe. Vielleicht ist auch das ein Mittel,
um die Gruppen voneinander abzugrenzen: die Herantragenden werden eins
mit dem Hintergrund und sind nur halb in die sich vollziehende Handlung
- das Prüfen der Holzskulptur - aufgenommen. Auch findet ja eine
Abgrenzung der Figuren durch die Bildanordnung statt, weil ein
Aufsteigen der Figuren zu beobachten ist.
Hätte
ich den Titel des Bildes nicht gewusst, würde ich es "Von
Orchideenblättern ud Männern" nennen. Kennt man das Bild aber, so lässt
es sich als symbolistisches Jugendstilbild interpretieren.
Montald _ Paysage symboliste (1904) |
Die Farbgestaltung
ist jugendstiltypisch: Gold und Silber und viele Tupfer in einer
verschwungenen Ornamentik, bei der der Hintergrund in seinem
Ornamentcharakter nicht mehr eindeutig als Hintergrund zu identifizieren
ist. Symbolistisch das ganze Bild. Vermutlich handelt es sich um eine
symbolische Visualisierung des Kunstschaffen-Prozesses: Die
gewissenhafte Selbstprüfung des Künstlers mit seinem Kunstwerk, ob es
auch tatsächlich gut genug ist, wird an einen utopischen Nichtraum
verlegt - die prüfenden Stimmen des Gewissens sind als nackte,
gottgleiche Jünglinge interpretiert, gewissermaßen Hermesse aus dem
Reich der Ideen, herabgestiegen an einen Zwischenort, um das Geschaffene
vermittelnd zu betrachten. (to be continued)
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