Eher zufällig bin ich in den Film geschlittert, und umso erfreulicher war dann das Resumée: eine wirklich erfrischende Anarchokomödie, die die Zwischenräume menschlicher Freundschaft wahrhaftig und humorvoll ausleuchtet. Natürlich hat der Film vieles weg gelassen und nur angedeutet: die Rückenschmerzen, die Pflege bedeuten kann, die vielen vielen Pflegehandlungen, die manchmal echt nervig sein können und unappetitlich oder einfach nur anstrengend sind.
Aber das macht nichts, denn der Film hält das tatsächlich Wesentliche fest, das, was das Herz erwärmt und das, worum es eigentlich immer gehen sollte: Das maskenlose Aufeinanderprallen und Miteinanderleben zweier Menschen. Es ist egal, ob der eine an den Rollstuhl gefesselt ist, und der andere Schwarz ist und aus der banlieu kommt. Wahre Hilfe kann erst entstehen, wenn man den anderen eingehend betrachtet, wenn man achtsam ihm gegenüber ist, wenn man ihn erkennt.
Und auch wenn man "mitleidslos" ist, so wie der Film es auch einmal offen thematisiert. "Warum hast du ihn genommen? Er ist aus der Banlieue, er ist kriminell und noch viel mehr" sagt sinngemäß einer der Familienangehörigen Philipps. Und Philippe antwortet: "Weil er mitleidslos ist".
Ich arbeite seit langem in einem Pflegeberuf. Ich weiß nicht, ob man "lernen" kann, jemanden zu pflegen. Natürlich gibt es eine technische Seite, die man lernen kann. Aber im Bezug auf die ethische Ebene der Pflege weiß ich nicht, ob man einfach nur etwas selbst entdeckt, das in einem ist.
Aber dennoch hat einer meiner Kollegen einmal etwas zu einer FSJ-Anwärterin nach einem Probearbeitstag, bei dem ich sie geführt hatte, gesagt, das in diesem Kontext Sinn macht. Er sagte: "Du bist alles für den Patienten. Sein Arm, sein Anwalt, sein Koch, seine Stütze, sein Chauffeur, sein Waschlappen, sein Modeberater usw...". Auch wenn er sich meines Erachtens selbst nicht vollkommen an die Essenz dieses beeindruckenden pathetischen Monologs gehalten hatte, so sagte er doch auch noch: Du darfst mit den Patienten Mitgefühl haben, aber du darfst nicht mit ihnen leiden.
Nur weil man keine Masken an den Tag legt, heißt das nicht, dass man respektlos ist. Höfliches Verhalten ist oft eine Maske und nicht unbedingt die beste im alltäglichen Umgang miteinander. Ebenso wie höflicher und zagsamer Umgang mit dem Andern zwar oft beschützend für ihn gemeint ist, aber nicht der beste Umgang für den andern sein muss. Dessen Ressourcen zu finden, zu wahren und zu fördern, das ist die Aufgabe einer wahren Pflege. Und pflegen kann man vieles. Nicht nur einen Pflegebedürftigen, sondern auch eine Freundschaft. Eigentlich einen jeden Menschen, den man trifft.
Der Film zeigt also ein Musterbeispiel bedürfnisorientierter Pflege, wie sie Monika Krohwinkel schriftlich im Kanon der Pflegemodelle fixiert hat. Ganz gegen leider sehr viel gängige Praxis demonstriert der Film, was es heißt, bedingungslos auf die Bedürfnisse des Pflegebedürftigen einzugehen, und was für Blüten daraus erwachsen können. Philipp wird glücklich in dem Film.
Nicht die Bedürfnisse der reichen Freunde und der reichen Familie des Querschnittgelähmten stehen im Zentrum von Driss' Aufmerksamkeit, sondern tatsächlich die Philippes'. Ständeklauseln werden dabei weggefegt.
Zugegeben, es ist nicht schwer Tiefe zu erzeugen, wenn man sich den Soundtrack des Films vor Augen führt. Chopin, Einaudi, Schubert's Ave Maria. Besseres, bzw. Einhüllenderes und Berührenderes hat die Klassik kaum zu bieten. Dennoch - die Komposition des Films ist gelungen. Als Beispiel, das sich mir besonders eingebrannt hat, ist die Anfangs- und Schlusssequenzen des Films. Man sieht nicht viel: Das Gesicht Philipps mit Bart, steinern und verschlossen, irgendwie mit einer Spur Leid und Ernsthaftigkeit, die in das Gesicht eingeschrieben ist. Dazu die Musik von Ludovico Einaudi ("fly") und die Reflektionen der Lichter des Pariser Boulevard Peripherique auf seinem Gesicht durch die Scheibe. Es dauert nicht lange, und man sieht auch das ernsthaft zusammengezogene Gesicht von Driss, der hinterm Steuer sitzt. Gemeinsam rauschen sie nebeneinander durch die Nacht...
In dieser Szene liegt eine Schönheit, die sich schwer beschreiben lässt.
In dieser Szene liegt eine Schönheit, die sich schwer beschreiben lässt.
Im übrigen kommt mein guter Magritte auch in dem Film vor. "Was denken sie sich bei dem Bild?" "Schöner Hintern." - "Ich möchte wissen, wie die Frau von vorne aussieht."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen