Zu Besuch bei der Ewigkeit
Sie sahen nicht so aus,
als würden sie mir helfen – schwarz, in schwarzer Kleidung, Cappy
cool auf dem Kopf, Fantadosen in den Händen. Der eine lutscht lässig
an einem Billigeis. Zwei Schwarze sitzen mit mir im Bus Nr 92. Wir rauschen durch die Schwärze der Nacht. Aber sie helfen mir, sagen mir, wo ich
aussteigen muss. Der eine springt sogar auf, um an den Halteknopf an der Türe zu drücken, als ich im Begriff bin, den Ausstieg zu
verpassen. Und dem kleinen Mädchen, das mit seiner Mutter vor mir sitzt, und das so tapfer gegen die
Müdigkeit ankämpft, haben sie auch geholfen: Sie schenken der
Mutter eine der Fantadosen, damit sie sie an die Kleine weitergibt.
„Vois – l'homme vas te donner sa canette!“ Und weil das Trinken
im Bus so schwierig ist, hilft sie der Kleinen. Macht ihr die Dose
auf, hält ihr die Dose an die Lippen und wartet ab, bis der Bus
hält, um sie einen kleinen Schluck machen zu lassen. „Sans verre,
Maman?“ - „Sans verre, bichette, tu bois directement de la
canette. Comme 'les Grandes' – wie „die Großen“ darf die
Kleine direkt aus der Dose trinken...
Der Bus fährt also am
Regierungspalast vorbei. Ein großräumiger, weit auslaufender nicht
hoher Bau, der Würzburger Residenz, Sanssouci und Versailles von der
Idee her nicht unähnlich: Symmetrisch aber durchaus mit Platz für
Rundungen und Spielerei, teilweise geschwungen, geschmeidig und elegant. Irgendwie
auch freundlich. Wenn der König anwesend ist, weht eine Fahne über
dem Palast. Die Brüsseler mögen übrigens ihren König Albert II.
Das mag vielleicht am Vorgänger, Baudoin I., liegen, weil er so
liebevoll und nicht aristokratisch war, eine Krankenschwester und
Kinderbuchautorin zu heiraten. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass der König einfach ein verrückter Typ ist. Ein Freund, bei dem ich zu Gast war,
berichtete mir davon, dass er es sich zum persönlichen
Vergnügen gemacht hatte, seiner Palastwache auf dem Motorrad zu
entwischen.
Am Haupteingang steht ein rießengroßer, kerngesunder
Weihnachtsbaum mit Lichtern geschmückt – für die Könige gilt es
nach wie vor: immer das Beste vom Besten. Der Bus rauscht am Palast durch die Dunkelheit vorbei, durch die ganze Länge, und spukt mich vor dem Museum aus
(Haltestelle: Royal).
Im Museum
Natürlich ist es zu spät
für einen Besuch, aber ich nutze die Zeit, um mich auf die
Außenfassade einzulassen. Zwei gigantische Engelsgestalten
flankieren den Haupteingang. Eine von ihnen hat eine Feder in der
Hand und ist im Begriff zu schreiben. Ansonsten vier Säulen, vier
Statuen über dem Treppenaufgang. Auch sie bestimmt symbolisch,
Allegorien der vier Künste? (Literatur, Skulptur, Dramatische
Künste...) Ich frage per Email im Nachhinein nach.
Vier Tage später erhalte ich die unerwartet eine Antwort:
"Hi there! I have one question with regard to the architecture of your museum-palace:
the four statues in front of it, those on the coloums, what do they represent? it would be very nice, if you could help me. Don't be shy to ask questions, or to contact me in any case.thankfully, martin"
Vier Tage später erhalte ich die unerwartet eine Antwort:
"Dear Sir,They represent- Painture,- Sculpture- Architecture- MusicThey were made by MM. Egide Melot, Georges Geefs, Louis Samain and Guillaume de Groot.Yours sincerely, Kartin Roedig (Persattaché / attachée de presse)"
Also richtig gelegen. Am Mittwoch betrete ich
also das Museum das erste Mal. Zufälligerweise ist der Eintritt in
die Museen jeden ersten Mittwoch des Monats kostenlos und das
Magritte-Museum ist außerdem länger geöffnet (bis 20h).
Die Eingangshalle
Man kann
schon in der Eingangshalle sehr viel Zeit verbringen. Sei es das
imposante Historiengemälde Episode des journées de
septembre 1830 (Gustav Wappas),
seien es die bunt und grell ineinander überfließenden Formen des
modernen Gemäldes Dernier jour von Pierre Alechinsky,
oder seien es die Zwillingsgemälde der Jugendstilikone Constant
Montalds – jedes der Bilder ist perfekt dafür ausgewählt, einen
neugierigen Besucher zu empfangen. Gerade Montals hat es mir angetan - mehr dazu später. Da es sich um einen
sehr sehr großen, überdimensionierten Raum handelt, den die
Eingangshalle darstellt (etwa 20x50x20m), hätten auch kaum andere
Bilder an dessen Wänden aufgehängt werden dürfen. Kaum eines der
Bilder ist kleiner als 14 m².
die Eingangshalle |
Zum Beispiel
Joseph Lambeaux Werk Le Dernicheur d'Aigles (1890), das den
Kampf eines in einen Adlerhorst eindringenden Jünglings, der vom
sorgetragenden Wildvogel attackiert wird, darstellt. Der dunkle Guss beeindruckt in seiner Dynamik, in der Perfektion der Abbildung der absoluten Anspannung der Muskeln. Jede Sehne, jeder Muskel
des Körpers ist angespannt. Beeindruckend tritt der Wadenmuskel
heraus, und man ist überwältigt von der Vollkommenheit dieser Mensch-Maschine.
Ein Stück
weiter trifft man auf die sehr pathetische Darstellung einer dem Sohn
vergebenden Mutter. Le Pardon, der lakonische Titel der
Marmorplastik, die ein Vergebungssszenario zwischen Sohn und Mutter von Fallen-Lassen und
Aufgefangen-Werden in die Ewigkeit geschlagen hat. Herausragend wirken
die zusammengefalteten Hände von Pieter Braecke (1893-1895).
Rombaux_filles de Satan |
Etwas weiter
hinten in der Halle, nahe dem Eingang zur Sammlung der „Alten
Künste“ (ancien art),
haben die Museumsdirektoren schließlich Egide Rombaux'
„Satansbräute“ aufgestellt: Drei Jahre brauchte der Meister, um
seine filles de Satan zum
Leben zu erwecken. Üppig, opulent und lüstern ziehen sie die Blick
des Zuschauers an, der sich auch zu gerne darin fallen lässt,
obwohl, oder weil es Sünde ist, ihnen bei ihren Sexspielchen
zuzuschauen. Eine Voluptatis-Phantasie, die im Todesjahr Friedrich
Nietzsches, begonnen wurde. Zwar hatte dieser Gott für tot erklärt,
doch gerade damit erst setzte die Phantasie der Künstler zum
Höhenflug an, und begann alles vorher dagewesene an Dreistheit,
Formenreichtum Dekadenz und Romantik zu übersteigen. Gott ist tot
doch seine verbotenen Phantasien leben weiter, wie man merkt, wenn man in die dämonischen Augen der Mittelfigur schaut.
Vielleicht sollte man noch eine Figur erwähnen, bevor man sich
wieder anderem widmet: Kaum einer interessiert sich hier für eine
Statue, die den Besuchern eigentlich entgegenblickt, als würde sie
sie empfangen wollen. Es handelt sich dabei um den König, der die
Palastgärten nach der Napoleonischen Herrschaft mit seiner
„Oranjerie“ bereicherte, bevor er wenige Jahre später, 1830, von
den aufständischen belgischen Patrioten wieder aus der jungen Nation
herausgeworfen wurde. Die Herrscherstatue von William von Oranien,
dem ersten König der wiedererrichteten Vereinigten Niederlanden,
wirkt hier wie ein stehen gelassener Empfangsdiener an dem der Strom
der Zeit schon lange vorbeigegangen ist. Die Kunst allein ist eben
doch für die Ewigkeit, Herrscher vergehen.
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