Donnerstag, 27. September 2012

WOODKIT

Nachdem 2009 Modeselektor, Apparat und die Pfadfinderei mit ihrer audiovisuellen „Declaration“ MODERAT einen Meilenstein im Bild-Ton-Bereich gesetzt hatten, setzt Yoann Lemoine alias Woodkit  mit seinem Clip für "Iron" einen neuen Meilenstein in der Slowmo-Highart-Szene. Das Video ist eine Hommage an Kämpfertum und Pathos. Die schönen hochauflösenden Ultraslowmotion-Bilder erzählen märchenhaft die Geschichte vom Kampf zwischen einigen auserwählten Kämpfern aller Nationen gegen den Dornröschenschlaf unserer Gesellschaft. Hier folgt Beschreibung und eine Interpretation

Das erste Symbol des Videos. Click for view

1. Beschreibung im Detail:

In dem Video sieht man ein schwarze Flagge wehen, auf der das Emblem zweier sich kreuzender Schlüssel eingestickt ist, man sieht tiefe dunkelgraue Wolkenberge durch die die Kamera auf Augenhöhe fährt, man sieht wie ein Feuer entzündet wird und einen Wolfshund, der aufmerksam in die Kamera schaut und dem dabei Speichel aus den Lefzen tropft. Man sieht einen tätowierten Rücken, auf dem ebenfalls zentral, zwischen den Schulterblättern, stolz das bereits bekannte Symbol der zwei sich kreuzenden Schlüssel von zwei Drachenköpfen flankiert ist. Man sieht einen vermummten Trommler, der kraftvoll im Takt der Musik auf eine riesige, fellbespannte Trommel schlägt und schließlich beendet die Exposition der Moment, in dem man betrachtet, wie eine Feuerzunge aus einer Öllampe größer und größer aus der Lampe heraus lechzt.
Die Trommeln und die Öllampe sind in der Filmlogik als Symbole dafür, dass „Die Zeit gekommen ist“ zu interpretieren. Erstere symbolisieren, dass die Stunde nun geschlagen hat während die zweite so etwas symbolisiert, wie dass der große Tag angebrochen bist.
Der Fokus weitet sich dann auf totalere Aufnahmen. Jetzt sieht man Menschen, ganze Oberkörper und innerhalb der vier folgenden Bilder die Mikrostory des Videos: Eulenkrieger, Priester, schlafender Junge auf Bare und schließlich der erste anvisierte, komplett überzeugte Blick des Eulenkriegers, der bereit ist, in den Kampf zu ziehen. Dann noch als Abschluss der Sequenz der durchdringende Blick der Eule allein und schließlich kommt das erste Mal musikalisch Text und Orgel, visuell der Pferdekrieger. So lösen sich die Bilder langsam in eine zusammenhängende Geschichte auf, deren Sinn man interpretieren kann.
Der tätowierte Rücken gehört zu einem Menschen mit Morgenstern, der Wolfshund und die Öllampe zu einem Kämpfer mit langen kohlschwarzen Haaren, der an einen Mongolen erinnert und ebenfalls eine Kette mit dem Symbol der sich kreuzenden Schlüssel trägt. Die Eule sitzt auf dem Arm eines androgynen Schönlings in Lederwams und wie gesagt, es gibt noch den Reiterkrieger. Die Dramatik der Musik nimmt zu (Flöten) der Trommler schlägt wilder auf die Trommeln. Man spürt die Nervosität und Aufbruchsbereitschaft der Tiere und Menschen und auf einmal beginnt auch ein schwarzer Blüten- und Aschenregen auf die Figuren niederzufallen.
Langsam wird es klar: Hier handelt es sich um Krieger vor dem Kampf. Sie und ihre Tiere zeigen noch einmal und aufgestachelt von dem schwarzen Blätterregen ihre Kampfbereitschaft, einer schreit kühn in die Kamera, und dann preschen sie los in Richtung eines imaginären Feindes, den der Zuschauer beim ersten Mal sehen noch nicht einordnen kann.
Dann kommt eine neue Sequenz: Auf einer Art Bare liegt ein bekränzter Knabe in Büroklamotten wie in tiefstem Schlaf. Vor ihm steht eine Art Priester in einem sehr komischen Kostüm. Beide Figuren wurden bereits in der Mikrosituation am Anfang vorgestellt. Er ist im Vollzug eines furchteinflössenden Rituals: Er murmelt beschwörerische Formeln aus einem kleinen Büchlein, das aussieht wie diese kleinen Taschentestamente, die Sektengruppierungen immer wieder einmal kostenlos verteilen. Gekreuzte Schlüssel prangen auf dem Buchrücken. Der Priester betet immer intensiver, sein Mund und sein Gesicht nehmen verzerrte Züge an. Dann kommt ein Bildbruch und man sieht eine Riesenorgel im Fritz Lang Stil, die von unten nach oben Helligkeit aufbaut, als würde sie Sendungsbereitschaft aufnehmen. Musikalisch haben wir inzwischen ein weitere Steigerungsstufe erreicht.
Und dann kommt das Unerwartete: Aus den Wolken heraus brechen schwarzdampfende Pechgeschosse herunter und bahnen sich ihren Weg auf die Angreifer, schlagen dich neben ihnen und auf ihnen ein, und es sieht alles danach aus, als würden sie innerhalb dieses Pechblizzards untergehen.
Der Junge auf der Bare wird noch einmal weiterhin schlafend gezeigt, dann eine abschließende Fahrt durch die Wolken und das Video schließt mit einer Einstellung auf eine Art Palast auf einer weiten, fahlen Ebene.

2. Interpretation

a) Gesellschaftskritisch
Märchenhaft und symbolgeschwängert wird uns eine Sichtweise unserer eigenen Gesellschaft vorgehalten. Die Kämpfer sind Helden der Freiheit. Der Priester, das sind die Medien und die Politiker und die Wirtschaftler, alle diejenigen, die uns Lügen erzählen und somit verhindern, dass wir aufwachen. Der Junge auf der Bare symbolisiert die Gesellschaft an sich, die sich von diesen Lügenmärchen einlullen lässt und sich in tiefem Dornröschenschlaf befindet (Darauf kann auch die Bekleidung hinweisen, da sie aus einer Art Schuluniform besteht). Wann wird er aufwachen um seine Hausaufgaben, die moralische und ökologische Rettung der Welt, in Angriff zu nehmen? Wenn der 'böse' Priester mit seinen Beschwörungsformeln aufhört, ihn im Schlaf gefangenzuhalten. Und wer befreit ihn / die Gesellschaft / die Zukunft? Die Krieger, die den Priester, der übrigens einen Aktenkoffer in der andern Hand hat, attackieren wollen. Diese Interpretation kann sich auch noch auf die Fritz Lang Bildmetaphern stützen: Die Weltbeherrschungsorgel und am Ende die Mischung aus Kirche und Sendestation in der Wüste (Futuristischer Stil).


3. Persönlich 

Das besondere dieses Videos für mich: Reduzierung auf wenige Leitsymbole (das Leitsymbol, das den Kontext auf ganze Jahrtausende eröffnet im Gegensatz zum Leitmotiv, dass nur spezifisch auf einen Charakterzug oder so hinweist) wie die beiden gekreuzten Schlüssel. Sie eröffnen ein Maximum an möglichen Kontextualisierungen. 
Beeindruckend sind die Figuren gestaltet und besonders beeindruckt hat mich die Aufnahme der Faust, die in die eigene offene Hand des tätowierten Kriegers in Slowmotion einschlägt, so dass man die Vibrationen jedes einzelnen Gewebeteils sehen kann. 
Auch die Details der Lichtgebung sind spannend zu beobachten: Steigt in den Anfangssequenzen der Lichtpegel zunehmend an, so nimmt er just beim ersten Zeigen der Figur des Priesters ab, was wieder den „Gut-Böse“ Kontext und die vorgeschlagene Interpretation unterstützt.


4. Fazit

Abschließend ist der Videoschmiede dieser Produktion also das Machen einer beeindruckenden symbolschwangeren episch-pathetischen Fabel in hochauflösenden schönen und beeindruckenden Bildern gelungen, an der sich Nachfolgeproduktionen werden messen lassen müssen. Wake up, Babylon.



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